»Es wurde Abend, ein schöner Himmel erglänzte, in seinen wunderbar gefärbten Wolkenbildern über ihm. Sie, fuhr Rudolf fort, wenn ihr Maler mir dergleichen darstellen könntet, so wollte ich eure beweglichen Historien mit allen unzähligen Figuren euch erlassen. Meine Seele soll sich an diesen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen, ich würde da Handlung gerne vermissen, wenn ihr mir, wie die gütige Natur heute tut, so mit rosenrotem Schlüssel die Heimat aufschließen könntet, das glänzende Land, wo in dem grünen azurnen Meer die goldensten Träume schwimmen. Oh mein Freund, wenn ihr doch diese wunderliche Musik, die der Himmel heute dichtet, in eure Malerei hineinlocken könntet.«
Sie blieb kein frommer Wunsch, jene Himmelsdichtung, jene Poesie einer neuen Landschaftsmalerei, die Ludwig Tieck herbeisehnte, in seinem Künstlerroman »Franz Sternbalds Wanderungen« von 1798. Jene Seelenund Sehnsuchtslandschaften, die mondbeschienen und nebelverhangen, einsam, still und traumverloren, über Meere und Gipfelmeere in fernste Fernen blicken. Schon 1803 begegnete Tieck in Dresden jenem Mann, der in seinen Bildern die Natur zur Kirche seiner Gedanken machen sollte und zum Altar des Gefühls. Der nur vier Jahre später mit einem Schlag zum Inbegriff der neuen romantischen Malerei werden sollte – mit einem einzigen Bild, dem formal revolutionären »Das Kreuz auf dem Gipfel«, dem kurz darauf die noch radikalere formulierte Einsamkeits- und Ratlosigkeits-Apotheose »Der Mönch am Meer« folgen würde; 1810 das modernste Bild seiner Zeit in Deutschland. Kein naiver Naturschwärmer war dieser Maler, wie Tieck schnell erkannte, sondern einer, der die sakrale Ausstrahlung seiner rätselhaften Werke, ihre feierliche, ernste Strenge und Sinnlichkeit mit ausgeklügelten Kompositionskonzepten und anderen formalen Strategien steigerte. Ein Künstler, der fortan mit seinen eigenständigen symbolischen Landschaftsbildern den akademischen Klassizismus mehr als antik, nämlich alt aussehen lassen wird. Der die Malermoden der Zeit, historisierende Nazarener und »heroische Landschaften« mit all ihrer Mythologie- Staffage, zu »überladenen Trödelbuden« erklärt und solche äußerlichen »Nachäffereien« herzlich verabscheut.
Ein protestantischer Handwerkersohn aus der Provinz, ein so pietistischer wie demokratisch gesinnter Patriot. Dem es bei Gott nie eingefallen wäre, sich den südenseligen Studienreisen der Italien- und Rom-Pilger anzuschließen und der auch sonst nicht viel herumkam nach seinem Studium an der Kunstakademie Kopenhagen, sondern sich lieber mit dem Skizzenblock heimische Motive erwanderte. In seiner geliebten nördlichen Heimat Vorpommern, rund um Greifswald – wo er 1774 als sechstes von zehn Kindern eines Lichtgießers und Seifensieders geboren wurde –, Neubrandenburg und auf der Ostseeinsel Rügen vor allem, und in der Umgebung seiner Wahlheimat Dresden, der Sächsischen Schweiz und dem Riesengebirge, dazu ein bisschen Harz und Nordböhmen. Dieser Mann wurde zum zukunftsweisenden Neuerer der Gattung Landschaftsmalerei, zur Maler-Ikone der deutschen Romantik und war zugleich mehr, eine singuläre Erscheinung: Caspar David Friedrich.
Heute gilt er als Klassiker der Romantik – dabei war seine Rezeption immer ein bisschen prekär. Erst mit 32 Jahren, also relativ spät für seine Zeit, fand Friedrich zur Ölmalerei, wurde dann schlagartig berühmt, aber geriet schon kurz nach seinem Tod in Vergessenheit. Erst ein halbes Jahrhundert später, mit der großen Ausstellung 1906 in der Berliner Nationalgalerie zur »deutschen Kunst von 1775 bis 1875«, entdeckte man sein Werk neu, das später die Nationalsozialisten für ihre Ideologien missbrauchten. Dann wieder Stille um ihn. Und erst seit 1974, mit den großen Jubiläums-Retrospektiven zu seinem 200. Geburtstag in Hamburg und Dresden, entstand langsam ein Bewusstsein dafür, dass Caspar David Friedrich ein Maler von europäischem, ja internationalem Rang ist. Das Verständnis seines Werkes allerdings ist noch immer nicht abgeschlossen, bis heute ist die Forschung schwer damit beschäftigt, Friedrichs Bilderrätsel zu lösen. Diese kann man jetzt in einer einzigartigen Schau studieren: Das Essener Folkwang-Museum zeigt die größte Friedrich- Retrospektive in Deutschland seit jener wegweisenden Hamburger Ausstellung vor 30 Jahren – mit rund 80 Ölgemälden und über 100 Zeichnungen, Sepien und Aquarellen aus über 50 Museen und Privatsammlungen –, darunter die Hauptwerke aus den vier bedeutendsten Friedrich-Sammlungen in Berlin, Dresden, Hamburg und St. Petersburg.
Friedrichs Rätselbilder sind so klar, konzentriert und karg wie vieldeutig. Und so hatte man lange ihren zeitgeschichtlichen Bezug übersehen. Der Maler schuf nicht einfach nur mystisch-religiös verklärte Landschaftsdarstellungen – ein Begriff, der ihm im populären Verständnis bis heute etwas einseitig anhaftet –, sondern er war in erster Linie Zeitgenosse, einer, der unter den politischen Zuständen seiner Zeit litt. Und daher in seinen meditativen Stimmungsbildern eine religiöse Licht- und Natursymbolik ersann, die zugleich eine politische war. Während die Deutung seiner Werke eigentlich bis heute einer entweder religiösen oder politischen Auslegung zuneigt, ist anzunehmen, dass die meisten seiner Bilder beide Dimensionen verschmelzen.
Hätte man nur einen einzigen Begriff zur Verfügung, um Friedrichs erstaunlich umfangreiches Werk zu charakterisieren – in seiner Schaffenszeit von ungefähr 1801 bis 1835 (seine Werke hat er weder datiert noch signiert) entstanden mehr als 150 Gemälde, rund 1000 Zeichnungen, Aquarelle, Holzschnitte, Radierungen; rund 500 davon sind verschollen oder zerstört –, wäre es wohl das Wort: Erwartung. Hoffnung auf eine bessere Zeit. Ohne »die Ereignisse der Zeit, die mein Gemüth so ganz verstimmt « haben, ist Friedrichs Werk nicht zu verstehen.
»Unsere große und verhängnisvolle Zeit, die Zeit der Aufregung und Umgestaltung«: das war für den Protestanten Friedrich der Verlust alter Religiosität durch die Aufklärung im Allgemeinen und durch die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer Deutschlands 1803 im Besonderen. »Die verhängnisvolle Zeit«, das war für den Patrioten Friedrich, den leidenschaftlichen Verächter der »gottlosen Franzosen« die Schrecken der napoleonischen Kriege und die als demütigend empfundene französische Fremdherrschaft, die die Bildung eines deutschen Nationalgefühls herausforderte.
»Die Zeit der Aufregung«, das war für den Demokraten Friedrich aber auch die Enttäuschung über die politische Restauration in Deutschland, mit Bespitzelung und Verfolgung, die schon bald nach den antinapoleonischen Befreiungskämpfen einsetzten und alle Hoffnung auf politische Reformen in den deutschen Ländern begrub. An Ernst Moritz Arndt, einen Freund und Vertreter der deutschen Nationalbewegung, schrieb Friedrich gleich nach den restaurativen Karlsbader Beschlüssen von 1819 von seiner Wut darüber, dass »wir Fürstenknechte bleiben«, »das Volk keine Stimme hat«, ja nicht einmal Denkmäler besitzt zur Erinnerung an seinen gescheiterten Kampf für politische Rechte und geistige Freiheit. Diese Denkmäler schuf Friedrich dann mit seinen Bildern. Zunächst konkret patriotische Bilder wie etwa »Gräber gefallener Freiheitskrieger« von 1812. Bis zum Schluss werden die Erinnerungen an den Untergang der Freiheitsideale sein Werk durchziehen, mehr oder weniger verschlüsselt. Gemalte politische Mahnmale, Andachtsbilder des Verlusts, Visionen vager Utopien, an denen er festhält. Recht deutlich in seinen Werken mit den typischen Rückenfiguren, die die sogenannte Altdeutsche Tracht tragen, eine Bekenntnistracht gegen die Restauration. Als die Kleidung durch die Karlsbader Beschlüsse als »demagogisch« verboten wird, malt Friedrich seine berühmten »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« in ebendieser Tracht. Im Schein des Mondes, der Sonne der Ewigkeit: Die Tracht wird bis zuletzt in seinen Bildern auftauchen. Zuweilen wirken diese Figuren, mit schwarzem Barett und Radmantel gegen den Himmel gestellt, wie Grabsteine der Andacht oder Stelen sakraler Himmelstor-Reste. Figuren als Mahnmale uneingelöster Hoffnung, die nicht nur mit ihrem Blick, sondern auch in ihrer aufwärts ragenden Gestalt wie Fingerzeige zum Himmel, zum Horizont weisen – wie auch all die Analogie bildenden Tannen, Mastbäume von Schiffen oder gotischen Kirchtürme in den Bildern Friedrichs. Sie weisen in den fernen Horizont einer besseren Zukunft.
»Küstenlandschaft im Abendlicht«, »Mondaufgang am Meer«, »Morgen im Gebirge« – das sind Lichtstreife am Horizont. Hoffnungsschimmer, gemalt von Friedrich, dem Sohn des Lichtgießers. »Die Felsenkuppe, die aus dem Nebel nach der Sonne schaut, das war sein Bild«, sagte ein Zeitgenosse über ihn. Morgen- und Abendrot sind bei Friedrich gleichermaßen Auferstehungsverheißung religiöser und politischer Ideale, man findet in seinen Bildern aber etwa auch Dämmerung als Zeichen einer Übergangszeit oder von Felsschluchten verstellte Himmelsblicke der Perspektivlosigkeit. Visionen, Utopien, die auch durch ihre formalen Kompositionsstrategien die ganze existenzielle Weite von Zuversicht bis abgrundtiefer Ohnmacht ausmessen. Die Ersetzung der konventionellen Tiefenstaffelung durch Flächigkeit lässt den Vordergrund, die Klippen der Gegenwart, oft so unvermittelt wie unüberbrückbar auf den Hintergrund, den Himmel der Zukunft, stoßen. Das Geometrische seiner Kompositionen – Dreiecke, Hyperbeln, Symmetrien –, das sowohl die Gestaltungsmittel der Hochrenaissance aufnimmt, wie auch die Idee von der Natur als Sakralarchitektur Gottes sowie Novalis’ Wort von der Geometrie als transzendentaler Zeichenkunst – dies Geometrische suggeriert die Festigkeit und Verheißung einer höheren Ordnung. »Die Zeit der Aufregung und Umgestaltung … hält keines Menschen Macht auf, denn ein Gott hat sie herbeigeführt und wird sie auch durchführen«, schrieb Friedrich einmal.
Die Hoffnung auf demokratische Reformen ging für Friedrich nicht nur mit dem Wunsch nach religiöser Erneuerung einher. Für ihn war Religiosität, der Fels des Glaubens, das ethische Fundament aller politischen Verbesserungen. So galt sein Entwurf einer Kirchenausstattung dem Ideal, »dass hier kein Ansehen der Person gilt, aller Unterschied der Stände aufhören muss, Arme und Reiche wenigstens vor Gott gleich sind.« Für beide Dimensionen, die religiöse und die politische, erfand er mit seinen Landschaften eine neue Sprache. Sie löste alte Sakralkunst und Historienmalerei ab durch deren Aufhebung in einer Landschaftsmalerei, die von eschatologischer Hoffnung schwach erleuchtete (politische) Szenerien zeigt. 1824 malte Friedrich »Das Wrack im Eismeer« (»Gescheiterte Hoffnung«), ein nochmals für seine Zeit formal radikales Bild. Dessen Qualität wurde von den Zeitgenossen nicht mehr verstanden. Auch sonst begegnete man ihm mit zunehmendem Unverständnis. Friedrichs Isolation begann. Einen für den berühmten Maler eigentlich idealen Lehrstuhl an der Dresdener Akademie ließ man lieber vakant, als ihn einem Künstler zu geben, dessen politische Einstellung einer restaurativen Epoche nicht mehr genehm war und dessen Stil bald schon als »mystischer Irrweg« galt. Realismus und Biedermeier kündigten sich an. Friedrich malte Friedhöfe, wurde 1825 sehr krank, schrieb seinen Brüdern keine witzig-ironischen Briefe mehr, sondern, dass »ich mich durch gemachte bittere Erfahrung in mich selbst zurückziehe.« Er, der immer wieder Bedürftigen geholfen hatte, auch wenn er wenig Geld besaß, geriet ab 1835, nach einem Schlaganfall, selber in ernste finanzielle Not. Am 19. März 1840 suchte ihn noch einmal sein Bewunderer und Förderer Wassili Andrejewitsch Shukowski auf, der über enge Verbindungen zum Zarenhof verfügte. Friedrich sprach die Hilfe des Zaren an, die dieser ihm früher einmal zugesagt hatte. In seinem Tagebuch vermerkt Shukowski: »Zu Friedrich. Traurige Ruine. Er weinte wie ein Kind.« Am 7. Mai 1840 starb Caspar David Friedrich in Dresden.
In ihrem Nachruf vergaß die »Leipziger Zeitung« nicht zu bemängeln, dass der verarmte Friedrich mit den Seinen hätte sorgenfrei leben können, »wenn er nicht bis zum Übermaß gegen Bedürftige wohltätig gewesen.« Die Morgenröte einer neuen Zeit war angebrochen. Die Zeit des Eismeers.
5. Mai bis 20. August 2006; Katalog 29 €; Tel.: 0201/8845444; www.museum-folkwang.de
Die im Bild »Lebensstufen« (s.o.) dargestellte Örtlichkeit liegt an der Küste bei Greifswald, in der Rückenfigur vermutet man den Maler selbst, der nachweislich einen ähnlichen Mantel besaß. Knabe und Mädchen könnten Friedrichs Kinder Gustav Adolf und Agnes-Adelheid sein. Inwieweit das Bild gleichnishaften Charakter besitzt und überhaupt als »Lebensstufen« entworfen wurde, ist offen, auf jeden Fall besitzt die Kleidung – Barett und Radmantel – politischen Protestcharakter, da sie zu jener Zeit verboten war.