TEXT: ANDREAS WILINK
»Ich habe Vater nach oben geschafft«, lautet der erste ungeheure, Vermutungen nährende Satz des Buches. In der Verfilmung von Gerbrand Bakkers niederländischer Landsmännin Nanouk Leopold tut Helmer es. Bettet ihn um, Matratze, Bettgestell, Bettvorleger, schließlich der Alte werden die Treppe rauf geschleppt. Helmer räumt auf, sortiert aus, richtet sich neu ein, als könne er damit sein Leben bereinigen, das unter der Fuchtel des Vaters stand – und im Banne des früh gestorbenen Zwillingsbruders, dessen Part er übernehmen musste.
Ein Gehöft am Deich, altmodisch eingerichtet, Helmers Elternhaus, aus dem er dann nicht mehr fortkam. Schafzucht, Milchwirtschaft und zwei Esel. Auf dem Nachttisch ein Stillleben mit Apfel und Wasserglas. Vor dem Fenster des Alten eine Nebelkrähe – ein Totenvogel. Der Sohn wäscht den Vater, versorgt ihn, aber nur das Nötigste. Wir sehen die grindige, schlaffe, müde Haut des Alten (Henri Garcin), später die massive Statur des Jüngeren, den von ihm selbst gewissermaßen unentdeckten Körper unter der Dusche.
Wir sehen Anstrengung und Mühsal, des Alten schläfrige Ermattung und verbliebenen Eigensinn – im Blick Helmers. Der Vater hat Hunger, der Sohn antwortet: »Ich hab’ auch manchmal Hunger.« Da ist keine Liebe. Kaum ein gutes Wort. Nur Handgriffe, Verrichtungen. Helmer hat wenig Umgang, mal der Milchfahrer, mal die Nachbarin und ihre Jungs; er ist wortkarg, nahezu abweisend. Gefangen in sich. Allein. Einsam! Beschwert von einer Geschichte, die sich mehr ver- als erschließt.
Dann kommt auf Bitten seiner Mutter der halbwüchsige Henk als Knecht zu ihm, Sohn von Riet, die fast Helmers Schwägerin geworden wäre und seines Bruders Unfalltod verschuldet hatte (was der Film beiseite lässt, wie er auch einen weiteren Erzählstrang kappt). Verschlossen auch er, Henk. Eine komplizierte Mechanik der Gefühle wird auf einfachstem Grund entworfen. Das Ungesagte behauptet den Raum, während die Bilder eigene Bezüge schaffen. Man ahnt, dass das Physische Erlösung bringen könnte. Gerbrand Bakker prunkt als Erzähler niemals, seine Lakonie hat klassisches Format, sein Fragen nach der condition humaine schafft eine zarte Wucht, die man gleichsam nicht spürt, weil sie keinen Druck ausübt. Schlichtweg ein Meister – der Film ist seinem Roman angemessen. Und setzt ein Epitaph für den großen Theater- und Filmschauspieler Jeroen Willems, in dessen kraftvoller Intensität sich Alain Delon und Patrice Chéreau zu vermählen schienen. Mit 50 Jahren starb er 2012 un-erwartet. Es liegt eine beunruhigende Seelenruhe in seinem Spiel.
»Oben ist es still«; Regie: Nanouk Leopold; Darsteller: Jeroen Willems, Henri Garcin, Martijn Lakemeier; NL/D 2013; 90 Min.; Start: 13. Juni 2013. Leopold & Bakker stellen Roman und Film in Düsseldorf/Metropol (Preview am 5. Juni), Köln/Filmforum (Premiere 13.6.) und Münster/Cinema (14.6.) vor.