TEXT: ANDREAS WILINK
Es gibt immer noch Geschichten, die nicht erzählt worden sind. Eine solche ist diese: Drei Aborigine-Schwestern ziehen in die Welt – und muntern die US-Soldaten in Vietnam als Truppenbetreuerinnen auf. Psychoanalytisch betrachtet, ließe sich hierbei von Identifikation mit dem Aggressor sprechen. Denn während der weiße Mann am Mekong (nicht zum ersten Mal) seine Unschuld verliert, kolonisieren seine Brüder in Australien die Ureinwohner, die unter »Flora und Fauna« rubriziert und deren Kinder gewaltsam aus den Elternhäusern geraubt werden, um sie umzuerziehen: Weiß gegen alle übrigen Farben. Schwarz aber hat viele Schattierungen. Ein Mädchen dieser »Stolen Generation« ist Kay, die Kusine der Schwestern Gail, Julie und Cynthia. Hellhäutig, von ihrer Familie getrennt und anders sozialisiert, fühlt sie sich im »weder noch«. Aber sie hat Stimme. Das Terzett, das anfangs Country & Western jault, bis es von dem irischen Musiker Dave Lovelace bei einem Talentwettbewerb entdeckt, gecoacht, umgemodelt (»make it blacker«) und überhaupt körperlich erst in Stellung gebracht wird, verstärkt sich mit Kay zum Quartett. Vorbild der Soul-Sisters sind natürlich »The Supremes« – »The Sapphires« klingt nicht ganz unähnlich. Ihre Audition vor dem Militärausschuss in Melbourne endet mit der knappen Einladung: »See you in Saigon«.
Wayne Blair umrahmt seine auf einem Musical und den authentischen Erzählungen einer der Sängerinnen beruhenden Geschichte mit historischem Bildmaterial aus den sechziger Jahren, zulaufend auf die Ermordung Martin Luther Kings 1968 und die Rassenunruhen, die für die farbigen GI’s im fernen Krieg einen Loyalitätskonflikt auslösen. Damit müssen »The Sapphires« ebenso klar kommen, die nicht nur in der Etappe ihre fulminante Show abziehen, sondern plötzlich mitten zwischen die Kampflinien geraten. Man könnte dem australischen Film neuerliche Kolonialisierung anlasten: So perfekt wie er Hollywood-Dramaturgie bedient, Spannungen der Gruppe, Romanzen und Identitätskrisen auf dem Hintergrund des Farbspektrums inszeniert, müsste Steven Spielberg als Regisseur von »Die Farbe Lila« Freude daran haben. Gleichwohl ist das Sexappeal der Girls und ihr Autonomieanspruch groß genug, um den Vorwurf zum Schwinden zu bringen.
»The Sapphires«; Regie: Wayne Blair; Darsteller: Deborah Mailman, Jessica Mauboy, Shari Sebbens, Miranda Tapsell, Chris O’Dowd; 104 Min.; Australien 2012, Start: Juni 2013.