// Das Wort radikal verheißt tollkühne Tatkraft gegen mächtige Widerstände und atmet Abenteuer, Umsturz und Anarchie. Radikal besitzt, vor allem im Umfeld der Kultur, Sex-Appeal. Listig also Aachens Spielzeitmotto »Radikal sehnsüchtig«, das in seiner Wortpaarung wohl nicht zufällig an Walter Benjamins »Immer radikal. Niemals konsequent« erinnert und sich ideal der Produktion »Terror. Revolte. Glück« anschmiegt, die aus dem Stadttheater eine »Musik-Theater-Installation« macht. Mut zum Neuen lässt sich Aachen nicht absprechen, ob mit John Cage oder Detlev Glanert. Nun bespielt Chefregisseur Ludger Engels erneut das Haus mit vier Spielstätten, um von der Performance bis zum klassischen Operngesang alle Kräfte und Techniken der Bühnen- und der benachbarten Künste zu amalgamieren. Als geistige Klammer fungieren Texte des Existentialisten Albert Camus, die von der »zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt« erzählen, von Diktatur und Folter, auch von Depression und Verlorenheit. Zum roten Faden spinnen sich die Passagen aus den »Tagebüchern«, »Der glückliche Tod« und »Der Mensch in der Revolte« deshalb noch nicht. Wie so oft bergen die Offenheit der Form und Fülle assoziativer Möglichkeiten die Gefahr des Beliebigen: bedeutungsschwere Einzelheiten, portionierter Tiefsinn ästhetisch serviert.
Zuerst begeben sich die Besucher auf die Bühne zur Station »Meer«: In einer hoch gehängten Metallkiste rauscht Wasser, ein Cellist spielt vereinzelte Töne, die Orchestermitglieder bieten Cages »Atlas Eclipticalis«. Eine meditative, traumverlassene Szene. Ebenfalls intensiven Eindruck hinterlässt die Station »Prag« in der Kammer, wo in tristem Hotelzimmerambiente mit Ostblockflair Schauspieler und Sänger vor Einsamkeit schier die Wände hochgehen. Mehrfach durchbricht der hereinbrechende Opernchor mit der Wucht slawischer Klänge von Tschaikowsky bis Janáček das Grauen. Durch ein Backstage-Treppenhaus gelangt man ins Spiegelfoyer zur »Revolte«. Das Publikum wird in ein Maschendrahtzaun-Geviert gesperrt, ein gefesseltes Folteropfer in der Mitte. Zu Gehör kommen Luigi Nono und The Cure. Das ist politisch korrekt, erinnert freilich an museumspädagogische Veranstaltungen. Das »Glück« findet im Zuschauerraum statt – zur Musik von Purcell und Chausson lassen sich melancholische Szenen von der Unmöglichkeit der Liebe betrachten. Schön und präzise inszeniert, sind Ensembleleistung und organisatorisches Können nicht hoch genug zu loben. Zwar bleibt der Abend allzu sehr in der Schwebe, aber das macht zugleich seinen Reiz aus. // REM