Über kaum ein Werk der Moderne ist so sehr diskutiert worden, wie über Kasimir Malewitschs Bild »Das Schwarze Quadrat«. 1915 war das berühmte Viereck auf weißem Grund entstanden. Ein derart nüchternes Bild, das die Malerei regelrecht auf ihren Nullpunkt zurückzuführen schien. Ganz sicher aber auch ein Kunstwerk, das einen enormen Einfluss auf die Künstler von Irwin ausübte. In der Werkübersicht, die der Dortmunder Hartware MedienKunstVerein (HMKV) dem slowenischen Kollektiv gerade ausrichtet, gibt es sogar ein eigenes Kapitel, das die Kurator*innen »Hommage(n) an das (schwarze) Quadrat« genannt haben. Hier lässt sich gut sehen, wie sehr sich die Künstlergruppe mit der östlichen Avantgarde auseinandersetzte – um eine ganz eigene Form von Konzeptkunst zu finden.
Im frühen 20. Jahrhundert war die russische Avantgarde – Malewitsch gehörte zu ihren wichtigsten Vertretern – angetreten, nicht nur die Kunst, sondern die Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Bekanntlich scheiterten die revolutionären Visionen auf ganzer Linie: Die Künstler*innen endeten als Erfüllungsgehilfen der stalinistischen Propaganda.
Diese Dialektik von Avantgarde und Totalitarismus zieht sich wie ein Roter Faden durch alle Aktivitäten von Irwin – die Gruppe war 1983 in Ljubljana (damals Jugoslawien) von den Malern Dušan Mandič, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut Vogelnik gegründet worden. Ihr 40. Geburtstag ist Anlass der Dortmunder Schau, die Inke Arns und Thibaut de Ruyte kuratiert haben. Ein Beitrag zum HMKV-Jahresthema »Künstlerische Kollaborationen«.
1984 hatte Irwin mit im Boot gesessen, als das interdisziplinäre Kunstkollektiv »Neue Slowenische Kunst« (NSK) gegründet wurde. Ihre kritisch-ironische Auseinandersetzung mit der Moderne bezeichneten sie als »Retroavantgarde«. Malewitschs »Schwarzes Quadrat« machten sie kurzerhand zum Motiv einer Tragetasche aus dem Museumsshop – ein Seitenhieb auf das globale Merchandising international renommierter Museen. Das ikonische Bild rekonstruierte Irwin aus Legosteinen – ist Kunst also ein Kinderspiel?
Kritik am Kunstmarkt
Auch an dem, was herkömmlich als Kitsch angesehen wird, entzündet sich die Phantasie der Irwin-Künstler*innen. Berge, Hirsche oder Trachten stehen auf der Liste ihrer favorisierten Motive ganz oben. Um die Auflösung festgefügter Sehgewohnheiten geht es auch bei jenen Arbeiten, die Zweifel an der Urheberschaft eines Werks säen. Ein Foto, das das Kollektiv mit Marina Abramović zeigt, war in einer Dreier-Auflage entstanden – einmal signiert vom Fotografen, einmal von Irwin und einmal von der Performancekünstlerin selbst. Je nach Signatur variierte der Preis beträchtlich – eine Kritik am Kunstmarkt, aber auch ein Appell, bei der Betrachtung von Kunst nicht als Erstes nach Namen und Bekanntheit des Urhebers zu fragen.
Für die Irwin-Künstler*innen, die aus der Punk- und Graffiti-Szene Ljubljanas kamen, könnten einem manche Labels einfallen – dabei fanden sie ihre ganz eigene, natürlich ironische Form, um schließlich auch mit dem Begriff »Staatskünstler« umzugehen: 1992, ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens, bereicherte Irwin die politische Landkarte durch einen »NSK Staat in der Zeit«: ein nationales Gebilde ohne Territorium, das in Gestalt von temporären Botschaften oder Konsulaten auftritt und sogar Ausweise erstellt. Im HMKV kann man an jedem Freitag, Samstag und Sonntag von 12 bis 17 Uhr eine solche »confirmation of temporal space« beantragen. Doch wer sich reisepassmäßig verändern will, muss sich sputen: Die Ausstellung ist nur noch bis zum 28. Januar zu sehen.
»Was ist Kunst, Irwin?«
HMKV Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U