//In den 1970er Jahren setzte eine Renaissance von Erich Wolfgang Korngolds während der Nazizeit verschwundener Oper »Die tote Stadt« ein, zunächst zaghaft. Günter Krämers Düsseldorfer Inszenierung etwa wurde zur exemplarischen Arbeit, die er zehn Jahre darauf in Köln nahezu wiederholte. Inzwischen findet sich das Werk häufig auf den Spielplänen, so dass es (anders etwa als im Fall ebenfalls als »entartet« diffamierter Kollegen wie Schreker oder Krenek) tatsächlich so etwas wie ein Repertoirestück wurde. Salzburg, Zürich, Wien führten Korngold auf, hierzulande hat zuletzt in Hagen Paul Esterhazy eine dichte Deutung geschaffen.
In Bonn, dessen Musiktheater in der aktuellen Spielzeit bislang einen eher disparaten Eindruck abgibt, erweckt Intendant Klaus Weise »Die tote Stadt«. Von Reminiszenzen an Hitchcocks »Vertigo«, die Krämer benutzte – eine Idee, für die er Nachahmer fand –, will Weise nichts wissen. Noch versucht er, der morbiden »toten Stadt« Brügge nachzuspüren und den Horror einer Behausung zu evozieren, die eine »Kirche des Gewesenen« wäre und das von dem (noch lebenden) Witwer Paul bewohnte Mausoleum seiner verstorbenen Frau.
Regisseur und Bühnenbildner Martin Kukulies bevorzugen Ausnüchterung, Abstraktion, strenges Schwarzweiß und formale Glätte. Vom schräg gestellten Spielfeld hebt alsbald der obere Teil ab, um wie eine gigantische Grabplatte über dem Geschehen zu stehen. Ein transparenter schwarzer Vorhang teilt eine gekippte Spiegelfläche, in der später eine Brücke erkennbar wird und die Prozession im dritten Akt wie eine Filmeinspielung abläuft. Der spärlich möblierte Innenraum ist mit einem lebensgroßen Porträt der verstorbenen Marie geschmückt, das bisweilen ein (Video-)Eigenleben zu führen beginnt. Zu Füßen des Gemäldes birgt ein Reliquienschrein Pauls kostbarste Devotionalie: Maries blonden Haarzopf.
Als Spiegelung tritt auch die Tänzerin Marietta auf, ihre Wasserwellen sind jedoch lackschwarz, und statt Maries weißem Gewand trägt sie schwarzen Satin. Wenn Paul dann immer mehr unter seinen eigenen psychischen Druck gerät, die leichtlebige Marietta zur madonnenhaften Marie zu machen, erscheint die Doppelgängerin zweifarbig. Eine symbolisch flache Bildsprache, die kaum ersetzt, was der Personenführung ermangelt: die zwischen Traum und Wirklichkeit, zwanghafter Vision und psychoanalytischer Theorie geisternde Geschichte in ihrem subtilen Schrecken zu zeigen. Auch der konsequente Verzicht auf atmosphärische Gestaltung zu Gunsten von Statuarik und eingefrorenen Posen rächt sich. Derart entkleidet scheint Korngolds Thriller auf einmal harmlos bis banal. Überdeutlich wird die Laborsituation, die (trotz flüchtig eingeblendeten Madengewimmels) das Grauen der Verwesung und die Vergeblichkeit des Konservierens ignoriert.
Seltsam profillos bleiben, trotz hohem Spieleinsatz, die Figuren. Morenike Fadayomi singt die Partie der Marietta phantastisch mit dunkel geheimnisvollem, idealem Timbre und unter furchtlosen Einsatz leuchtender Spitzentöne; doch nicht eine Sekunde lang wirkt diese pumperlgesunde Person mysteriös, vieldeutig, bedrohlich. Ähnlich ist es um Paul bestellt. Dabei singt Tenor Janez Lotric schier um sein Leben, glänzt mit sicheren Höhen, besitzt Mut zu klanglicher Differenzierung; aber seine Hypermotorik und die wilden schwitzenden Blicke, die er stereotyp wiederholt, lassen ziemlich kalt. Erich Wächter am Pult setzt einiges daran, die Ausnüchterungskur der Regie auch der gern als süffig geziehenen Musik angedeihen zu lassen. Das gelingt ihm, zu Lasten von Korngolds schillernder, eleganter, sich bisweilen sogartig entladender Musik. Keine Wiedergeburt für »Die tote Stadt«. //