TEXT: BETTINA TROUWBORST
Louise Lecavalier ist die Turbo-Ballerina. Wer die Franco-Kanadierin in den 1980er und 1990er Jahren als Protagonistin in den Werken von Edouard Lock und seiner legendären Compagnie La La La Human Steps erlebt hat, wird sie noch vor Augen haben: Eine Virtuosin mit langer, platinblonder Mähne, die sich in den Tanz stürzt, als ginge es um ihr Leben. Die zarte, androgyne Gestalt schraubt sich vertikal und horizontal durch die Luft, um in den Armen eines Partners, auf dessen liegendem Körper oder krachend auf dem Boden zu landen.
Das tat schon beim Zuschauen weh. Das Signaturstück von 1985, »Human Sex«, ist ein choreografierter Amoklauf, der sich von den tänze-rischen Konventionen vollständig lossagt. Edouard Lock stilisierte seine Muse zur Kultfigur hoch.
Heute hat Louise Lecavalier die Fünfzig längst überschritten. Seit sie sich 1998 mit der Produktion »Salt« von Lock und La La La Human Steps verabschiedet hat, macht sie ihr eigenes Ding. Als Tänzerin hat sie nichts an Bühnenpräsenz und Charisma verloren, als Choreografin hat sie etwas zu sagen. In ihrem neuen Werk »So blue«, das beim Festival Sommerszene Salzburg in Ausschnitten zu sehen war, erzählt sie von den Befindlichkeiten der Seele.
»Blau ist für mich die Farbe der Seele, ihrer Leichtigkeit und Tiefe. Ich fühle mich leicht und glücklich, gleichzeitig dunkel und verstört, aber niemals ruhig. Es gibt einen Aufruhr der Gefühle in mir. In einem Song könnte ich ihn nicht hinausschreien, aber im Tanz«, erklärt sie den Titel. In dem neuen Werk, das sie gemeinsam mit ihrem künstlerischen Ratgeber, dem kanadischen Choreografen Benoît Lachambre, kreierte, wirbelt sie über die Bühne – wie in alten Zeiten. Allerdings in schwarzen Trainingsklamotten, völlig entrückt in ihrer Selbstbespiegelung. Und mit deutlich mehr Bodenhaftung. Bis auf breite, weiße Streifen am Boden ist die Bühne nackt – Raum für die Power-Performance. Lecavalier schleudert Arme und Beine heraus, schüttelt sich in rasendem Tempo wie eine Cyber-Figur, zittert, rollt über den Boden. Zum pulsierenden Elektro-Rhythmus von Mercan Dede steigert sie sich in Trance bis zur totalen Verausgabung. Höhepunkt ist ein minutenlanger Kopfstand, bei dem ihr Atem hörbar wird und ihr Shirt die beachtlichen Bauchmuskeln freilegt, die ein Kunstwerk an sich sind. »Ich wollte, dass der Körper alles sagt, was er sagen will, ohne ihn zu beeinflussen. Ihm freie Hand lassen, um sich selbst mit dem zu überraschen, was er offenbaren will«, so die Ausnahmekünstlerin über ihre neue Arbeit.
Mit der punkigen, blonden Kurzhaarfrisur ähnelt sie mehr denn je David Bowie. Darauf angesprochen, lächelt sie: »Es war ein Unfall beim Hairstylisten.« Einen ähnlichen Haarschnitt hatte sie schon einmal vor 30 Jahren. Auch ihre Gesichtszüge erinnern an den britischen Popkünstler, mit dem sie öfters zusammenarbeitete. »Als wir uns vor vielen Jahren zum ersten Mal begegneten, trafen wir jemandem, der mich fragte, ob ich seine Schwester sei. Und ja, in gewisser Weise bin ich es.«
Die neue Performance besteht aus zwei Teilen. Nach ihrem Solo tanzt Lecavalier ein Duett mit Frédéric Tavernini. Dabei hat sie die Bewegungsprinzipien Edouard Locks – rasantes Tempo, Rhythmus, Wiederholung, Dekonstruktion und extreme Energie – auf ihre Weise neu definiert. High-Energy-Dance – damals wie heute. Kein Wunder, dass Louise Lecavalier mit Madonna und Tina Turner verglichen wird. Vergleiche, die ihr egal sind. Immerhin: »Ich mag Tina Turner, sie ist großartig und sexy.«
7. und 8. Dezember 2012, tanzhaus nrw, Düsseldorf. www.tanzhaus-nrw.de