TEXT: ALEXANDRA WACH
Vor Normalität simulierenden Wänden sollte man sich in Acht nehmen in dieser im besten Sinne interaktiven Ausstellung. Kaum sind die Bewohner aus dem Haus, entwickeln die sonst stummen Zeugen ein Eigenleben. In dem Video »Zuckerdose« von Susanne Kutter rücken sie in die Mitte des Wohnzimmers, magisch angezogen von dem Kaffeetisch, über dem gerade noch ein Paar mit den Fingerspitzen zusammenstieß. Anlass für die unfreiwillige Annäherung war der gleichzeitige Griff nach der Zuckerdose. Der Eifersuchtsanfall des Betons endet in einer Katastrophe. Ähnlich einer Schrottpresse drückt es die gesamte Einrichtung buchstäblich an die Wand.
Ähnliches hat der klaustrophobisch enge Gang vor, der hinter einer Tür lauert. Der Stuhl am Ende des Schlauchs vibriert. Das laute Brummen strapaziert nicht nur die Ohren. Auch das Vertrauen in die Statik der verspiegelten Architektur schwindet, zumal der monochrom graue Anstrich keine Orientierung bietet. Kein gutes Omen für die Besucher des Labyrinths, die im Flüsterton nach dem Ausgang flehen. Spätestens seit ihrem Beitrag zur 54. Biennale di Venezia gelten Martine Feipel & Jean Bechameil als Spezialisten für raumgreifende Irritationen. Der luxemburgische Pavillon verwandelte sich unter ihrer Hand in einen Hürdenlauf aus wild gewordenen Schubladen, wackligen Schränken und elastischen Säulen. In der Gruppenschau »HEIMsuchung« gehört das Duo mit seinem erodierenden Parcours zu den sanfteren Manifestationen einer Verunsicherung, die keinen Halt vor der häuslichen Intimität macht.
Sicher fühlt sich keiner der rund 20 Künstler in seinen vier Wänden. Mal verwandeln Eisschollen die Toilette in eine Rutschbahn, mal kehrt sich das Innere einer sozialistisch angehauchten Bar nach außen. Die Polin Monika Sosnowska zerlegt mit Vorliebe historisch aufgeladene Räume in ihre Einzelteile, um von dem Transformationsprozess ihres Landes nach der Wende zu erzählen. Der Umbruch wird so zwar abstrakt, aber auch umso doppelbödiger spürbar, denn die Resultate der Turbomodernisierung haben stets auf absurde Weise ihre Funktionalität eingebüßt und lassen die Menschen vor der eigenen Tür fremdeln.
ATOMBOMBENPARANOIA
Wenn das Verschwinden des Privaten je kunsttauglich war, dann in dieser auf physische Erfahrung setzenden stringenten Auswahl. Sie überzeugt durch das Angebot, beim Begehen der bühnenhaften Situationen selbst zu überprüfen, wie abgrundsicher man sich auf dem Terrain aus politischem Wandel, veränderter Arbeitswelt, diffuser Terrorgefahr oder allgegenwärtigem Informationsstrudel bewegt. Manch ein Test verrät zeitlose Qualitäten. Stephan Mörsch greift auf den US-Aufklärungsfilm »The House in the Middle« von 1954 zurück, um die damalige Atombombenparanoia ins Hier und Jetzt zu transportieren. Die Botschaft des Streifens fällt kurios aus: Während ein verwahrlostes Holzhaus in Flammen aufgeht, trotzt sein gepflegter und mit einem blühenden Garten gesegneter Nachbar dem Strahlenpilz. Selbst die Modellhütten, die in Reih und Glied gegenüber dem Monitor hängen, verweisen auf die biedere Logik. Weh dem, der dem radioaktiven Wirbelsturm nicht mit einem frisch geschnittenen Rasen begegnet. Kein Wunder, dass John Bock aus Protest alle Register des Horrors zieht. In der Multimedia-Installation »Zweierlei-Eigen« finden Displays mit Wandkreuzen und Fischgräten ebenso ihren Platz wie ein Film über eine aus allen Hautporen halluzinierende Frau, die vergeblich Schutz in ihrem Bett sucht. Eine untote Doppelgängerin hat sich des Schlafzimmers bemächtigt, um sie mit diabolischen Auftritten in den Selbstmord zu treiben.
Ein Gespür für innere Bedrohungen beweist auch die Finnin Eija-Liisa Ahtila. In ihrer Dreikanal-Projektion »The Wind« reicht ein Windhauch aus, um eine Psychotikerin aus der Bahn zu werfen. Eigentlich sei ihr nach Schreien zumute, erzählt sie direkt in die Kamera. Stattdessen demoliert sie ihre Möbel und verfällt in einen Monolog aus Selbsthass und Gewaltfantasien. Das Chaos des Zimmers mutiert so zum Spiegelbild einer tief verletzten Psyche. Ob bei Thomas Demand oder Jennifer und Kevin McCoy, das Böse war längst schon da. Stricher mussten dran glauben, die erst durch den »Flur/Corridor« irrten, um anschließend von dem Serienmörder Jeffrey Dahmer zerstückelt zu werden. Demand rekonstruiert dessen Wohnhaus in Milwaukee anhand einer scheinbar dokumentarischen Fotografie, als gelte es mit der blutleer inszenierten Papierkulisse die Aura des Bestialischen zu neutralisieren. Die McCoys verfolgen mit den an Puppenhäuser erinnernden Filmsets eine ähnliche Strategie der trügerischen Harmlosigkeit. Ihre Modelle amerikanischer Vorstadtidyllen lassen sich auf Tischen aus der Vogelperspektive beobachten. Medusenartig verbogene Minikameras leuchten das urplötzlich ins Makabre wechselnde Geschehen nicht nur aus. Sie übertragen es live auf die Wand, das Gemetzel der Hausfrau an ihrem Gatten – und aus unsichtbaren Lautsprechern ertönt dazu ein liebliches »On the Sentimental Side« von Billie Holiday.
BLEIERNDE STILLE
Doch auch dieses Klagelied über die ewige Krise des Subjekts macht manch einen Heimgesuchten nervös. Während Werner Reiterer einen Zettel an einen Wandschrank mit der Aufforderung hängt, so laut wie möglich zu schreien, um hinter das Geheimnis des nicht mehr ganz taufrischen Möbelstücks zu kommen, halten die an Edward Hopper oder das Universum von David Lynch erinnernden Fotoszenerien des New Yorkers Gregory Crewdson die Zeit an. Bleierne Stille breitet sich aus, wenn sein vereinsamtes Personal aus unerfindlichen Gründen den Ausgang in einem Bodenloch des Wohnzimmers sucht, oder sich in einem Hotelzimmer der Kleidung entledigt, um nackt und teilnahmslos den Teppich anzustarren. Immerhin können sich diese transzendental Obdachlosen an dem Mobiliar abarbeiten. Der Schwede Jonas Dahlberg versetzt in der Videoinstallation »Three Rooms« Stühle und Betten in den Zustand der Auflösung. Wozu noch in den Kokon des vertrauten Nests einigeln, wenn die Welt draußen unvermeidlich aus den Fugen gerät? Anstatt Halt zu geben, verlieren diese Beweisstücke der Identität ihre Konturen. Am Ende bleibt noch nicht mal die Spur ihrer Asche übrig. Bis auf das Licht, das unerschrocken auf die Abwesenheit von Existenz scheint.
Mit einem misanthropischen Pessimisten bekommt man es auch in der Installation »Silencio Súbito« von Alexandra Ranner zu tun. Sein Alter Ego liegt mitten im Raum auf einem zerwühlten Bettgestell, das sich beim genaueren Hinsehen als skulpturale Nachbildung entpuppt, inklusive einer in Sichtweite platzierten Fotografie, die maritimen Wellengang mit einer wehenden Plane imitiert. Mehr Schein als Sein herrscht auch auf der großformatigen Leinwand. Das Video fokussiert ein Sofa. Der Mann vegetiert darauf regungslos seinem Exitus entgegen. Ein Fenstervorhang schafft das Unmögliche. Kalter Wind streift an ihm vorbei. Jetzt könnte er eigentlich aufspringen und den Schritt aus der allzu eng gewordenen Lebenszelle wagen. Sein lautstarker Einwand? Zum brüllen komisch: »Wenn jetz net gleich a Ruh’ is! A Ruh’ is!«.
Bis 25. August 2013. Kunstmuseum Bonn; Tel: 0228/776260. www.kunstmuseum-bonn.de