Ein schlimmer Autounfall passiert, der Vater sitzt am Steuer, die kleine Tochter wird schwer am Kopf verletzt. Bei dem klinischen Eingriff, den wir wie unter der Lupe anschauen müssen, wird dem Mädchen eine Titan-Platte hinter der Stirn eingepflanzt. Operateur ist ihr Vater, der fortan als eine Art besorgter Frankenstein über seine Kreatur wacht.
Radikaler Schnitt. Die erwachsene Alexia, die Agathe Rosselle mit der ungerührten Härte eines Kampfgirls spielt, arbeitet als Pin-Up-Tänzerin in einem Club, der sich in einem Flughafen-Terminal eingenistet hat. Sie turnt die Männer an bei ihrem erotischen Paarungstanz mit einer chromleuchtenden Limousine, verteilt danach Autogramme, geht zu ihrem Auto und lässt zu, dass sie durchs geöffnete Fenster ein Fan küsst, bevor sie ihn mit einer langen Haarnadel gezielt mit einem Stich durchs Ohr tötet. Das verröchelnde Sterben des jungen Mannes en detail wird uns ebenso wenig vorenthalten wie auch spätere Morde nicht, bei denen Alexia zu wild-fröhlicher Popmusik ein halbes Dutzend Männer und Frauen abschlachtet.
Wir haben verstanden: Krankheit als Metapher. Das Opfer Alexia arbeitet sich ab an ihrem Crash-Trauma, indem sie ihre erlittene Gewalt abreagiert und indem sie, unterlegt von sakraler Musik wie für einen gefühlvollen Liebesakt, durchrüttelnden Sex mit der Maschine hat – jenem Vehikel, das ihre Hirn-Erschütterung und ihre totale Zerrüttung als humanes Wesen verschuldet hat.
Regisseurin Julia Ducournau entwickelt ihr aberwitzigerweise mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnetes, als feministische Revolte gefeiertes Fantasy-Horrordrama, als hätte sie bei David Cronenberg die Ersatzteile hervorgekramt und verdreht zusammengeschraubt. Mensch und Metall gehen eine Verbindung ein, aus der etwas Neues zu entstehen scheint. Denn Alexias Bauch wölbt sich und sie scheidet fettig schwarze Flüssigkeit aus: Motorenöl.
In urbaner Ödnis
Mittlerweile auf der Flucht vor der Polizei, wechselt sie flugs die Identität und das Geschlecht, verpasst sich einige heftige, ihr Nasenbein demolierende Gesichtsschläge und gibt sich als Adrien aus, ein Junge, der seit zehn Jahren vermisst und gesucht worden war. Der Vater, Vincent (Vincent Lindon), verzichtet auf einen DNA-Test und erkennt sie / ihn als sein eigen Fleisch und Blut an. Mit diesem Supermann stimmt auch ganz erheblich etwas nicht. Er spritzt sich zu einem Hybrid-Muskelpaket auf und leitet als Kommandant eine Feuerwehrstaffel, die er wie eine paramilitärische Miliz drillt. Von einem regulären Vater-Sohn-Verhältnis kann nicht die Rede sein. Der Zerstörungs-Furor setzt sich fort.
Die Szenerie urbaner Ödnis – Hangars, Fabrikgelände, Piers am Hafen – ist meist düster neonfarben ausgeleuchtet, gesprochen wird wenig. Unappetitlich ist nicht nur die vulgäre Lust am Zuschaustellen von Gewalt, sondern mehr noch die bizarre Behauptung von Diskurshoheit. Alexia in ihrer Metamorphose wird auf dem Altar verwerflicher Maskulinität, feministischer Theorie und Gender Studies zum Blutopfer erhöht. Der Filmkörper »Titane« ist dabei aber nur eine abscheuliche Retortengeburt.
»Titane«, Regie: Julia Ducournau, Frankreich 2021, 108 Min., Start: 7. Oktober