// Manchmal hat man überhaupt keine Lust mehr, sich mit Design zu beschäftigen, zu inflationär wird dieser Begriff mittlerweile verwen-det. Auf Shoppingkanälen werden geschmack- lose »Designerhandys« verkauft; furchterregend-bunte Fingernägel bekommt man beim »Nail-Designer« und die Resterampen der teuren Mode-Labels dürfen sich »Designer-Outlet« nennen. Das Design scheint zur billigen Attitüde verkommen zu sein und hat die Ein-Euro-Shops erobert. Wenn es nicht auf diese Discounter-Prolligkeit hinauslaufen würde, könnte man auf den ersten Blick für diesen Umstand fast dankbar sein: Endlich wird das Design demokratisiert und erreicht die breite Masse. Aber der schöne Schein trügt – denn da ist es schon längst angekommen, wenn auch auf einer subtileren Ebene. Gutes Design zeichnet sich durch eine unaufdringliche Selbstverständlichkeit aus, mit dem es sich in den Alltag der Konsumenten einmischt. Gutes Design findet man da, wo man es nicht vermutet, z. B. in der Raffinesse eines Salzstreuers oder auch in einem Ventil einer Heizungsanlage.
Dieses Wechselspiel zwischen Eleganz und Nutzen zeigt das Designzentrum NRW auf der Zeche Zollverein mit der Ausstellung »red dot award: product design 2008«. Diese präsentiert die Gewinner des jährlich verliehenen »red dot award« und ist gleichzeitig Trendschau und Bestandsaufnahme der internationalen Designszene. Der Wettbewerb ist laut Selbsteinschät- zung »einer der größten und renommiertesten Designwettbewerbe weltweit«, und man mag dem Satz in dem Moment glauben schenken, wenn auf der Website eines koreanischen Elektronikherstellers zwischen den für uns kryptischen Schriftzeichen plötzlich das Signet des »red dot« erscheint. Schaut man sich die Gewinnerliste des diesjährigen »award« an, so fällt die Internationalität der teilnehmenden Firmen auf. Auch hier spielt Asien eine immer größere Rolle als ernstzunehmender Konkurrent; dass das Designzentrum seit 2005 eine Dependance in Singapur unterhält, zeigt, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden.
Alles begann 1954, als das Unternehmen Krupp gemeinsam mit dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) den Verein »Industrieform« gründete. Ab 1955 wurde die »Ständige Schau Industrieform« im »Kleinen Haus« der Villa Hügel gezeigt, die sich anfangs an der geistigen Tradition des Bauhaus orientierte und die soziale Funktion des Design in den Vordergrund stellte. Man wolle »den charakterbildenden Wert der schönen, klaren und einfachen Form im Leben des Menschen fördern« tönte es blumig vom Hügel; die Schau sei eine »Kundgebung des Protests gegen die Verhäßlichung der Welt«. Nötig hatte man derlei Maßnahmen in jenen Jahren schon, wollte sich die Industrie doch nach dem Krieg ein modernes, freundliches Image verpassen. Damals wie heute kann der »red dot award« als effizientes Marketinginstrument gesehen werden. Exportorientierte deutsche Firmen und ausländische Unternehmen nutzen den »red dot« als Siegel, der Qualität und Innovation verspricht. Trotzdem darf man sich die jährlich wechselnde, interdisziplinäre Fach-Jury nicht als eine coolere Variante der Stiftung Warentest vorstellen. Hier werden keine Teddybären in Brand gesteckt oder Schulranzen an die Wand geworfen; hier werden die eingereichten Produkte nach Kriterien wie Innovation, Funktionalität, ökologischer Verträglichkeit, Langlebigkeit und dem symbolischen und emotionalen Gehalt bewertet.
Gerade letzteres spielt in der öffentlichen Wahrnehmung eine immer größere Rolle, die Firma Apple ist mit ihren iPods und iPhones führend in diesem Bereich. Hier wird das Produkt zum Fetisch- und Kultobjekt, die sakrale Inszenierung der Apple Shops in strahlendem Weiß unterstützt dies zusätzlich. Der Faszination dieser Elektro-Götter kann man leicht erliegen, denn Apple hat es geschafft, seinen Namen konsequent mit absoluter Innovation und Modernität zu verbinden, auch wenn man das iPhone hübsch archaisch mit einer aufgebogenen Büroklammer aktivieren muss. An diesem Erfolg will natürlich auch die beizeiten aufgewachte Konkurrenz teilhaben. Anstatt aber eigene Designideen zu entwickeln, wird Apples schlichte Schönheit oft zitiert und im schlimmsten Fall kopiert – an Apple a day keeps the idea away.
Beim diesjährigen »red dot award« ist das iPhone ganz vorne dabei, es gibt aber auch einige iPod-Klone, wie den dennoch gelungenen Radiowecker »cubo elements« von »sonoro audio«. Ein schwarzglänzender Kubus, der erst durch ein appleskes, silbernes Steuerungsrad zum Leben erweckt wird, und der ansonsten weitgehend auf äußerliche Bedienelemente verzichtet. Die reduzierte Form ist zwar gerade im Elektronik- und Unterhaltungsbereich im Trend, aber so neu nicht. Unternehmen wie Loewe oder Bose fahren seit Jahrzehnten gut damit, und sind zu recht auch in diesem Jahr unter den Ausgezeichneten. Angesichts der schicken Chrom- und Lackoberflächen freut man sich aber auch über optische Ausreißer wie den rosa MP3-Player »Inno-B2« aus Seoul, der sich wie ein Schminkspiegel im Sixties-Design aufklappen lässt und dabei natürlich hart an der Grenze zur bonbonfarbenen Hello Kitty-Infantilität vorbeischrammt.
Bei allem Glamour wurden aber auch Produkte des Alltags ausgezeichnet; so findet sich der ergonomisch gestaltete Hammer der schwedischen Firma »Hultafors« und das fischförmige Schweizer Teppichmesser »Blue Marlin« neben einem windschnittigen »Viking«-Aufsitzrasenmäher in der Ausstellung. Die Innovation liegt aber nicht nur hier im Detail – auch das Material oder die Technik, die hinter einem Produkt stecken, sind preiswürdig. Ein Waschbecken aus Kork, das aussieht wie aus Stein; das Hörgerät »dot by ReSound«, das die Elektronik auf kleinstem Raum unterbringt – diese Dinge sind genau so raffiniert wie die Einzeigeruhr »SOLUS« von »Botta Design«, bei der bahnkundenfreundlich eine »Ablesegenauigkeit bis auf 5 Minuten« möglich ist und deren Gehäuse nur so dick wie eine Euromünze ist. Der weiße Tisch »M04« von »sdr+« ist auf die einfachsten Elemente reduziert und wird wegen seiner zeitlosen Modernität nicht nur in den üblichen Designagenturen zu finden sein. Etwas extravaganter kommt der Betonvorhang der Wiener Baufirma »oberhauser & schedler« daher, dessen kissenförmige Konstruktion selbst diesen Baustoff leicht erscheinen lässt. Eine Art schwebende Skulptur ist der Leuchter »Mercury« von »Artemide« aus dem westfälischen Fröndenberg – »Lichtsteine« aus Aluminium hängen an dünnen Fäden nebeneinander. Und dann entdeckt man ein Ding, das die Funktion konsequent der Oberfläche vorzieht: Das Notfallradio »Voicelink FR-1000« von »etón«, das die amerikanische Sicherheitsparanoia in einem Gerät bündelt. Die Energie wird von Hand erkurbelt, es ist wasserdicht, besitzt Radio, Sirene, Signalblitzlicht, Walkie-Talkie, und man kann mit ihm das Handy aufladen. Das Beste aber: Eine direkte Schönheit ist das Teil nicht, es ist auf angenehme Weise rustikal und funktionsbetont. Das zeigt, dass Design nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein muss – und dass sich die Branchenmaxime »Form follows Function« durchaus auch mal umgekehrt lesen lässt. //
design on stage – winners red dot award: product design 2008, red dot design museum, Zeche Zollverein, Essen, 4. Juni–27. Juli 2008. www.red-dot.de