Texte Sascha Westphal, Andrej Klahn, Volker K. Belghaus, Stefanie Stadel
Berliner Nostalgie: Kästners »Pünktchen und Anton« in Münster
Das Berliner Hinterhaus, in dem Anton lebt, ist ziemlich schief. Der Expressionismus lässt noch grüßen, hat aber schon die Risse der Neuen Sachlichkeit abbekommen. Ein Loch in der Wand legt die enge Küche frei, in der Anton für sich und seine kranke Mutter kocht. So etwas hat Pünktchen, die in einer Villa mit Köchin und Kindermädchen lebt, noch nie gesehen. Aber der Einsatz ihres besten Freundes hinterlässt Eindruck bei ihr. Am nächsten Tag wird das couragierte Mädchen sogleich bei Herrn Bremser, Antons Klassenlehrer, Einiges richtigstellen. Die Freundschaft zwischen der vorlauten Fabrikantentochter (Linn Sanders) und dem nachdenklichen Arbeitersohn (Manuel Herwig) ist stärker als der soziale Unterschied.
Thomas Hollaender hat bei seiner Adaption von Erich Kästners Kinderroman zum Glück auf Aktualisierung verzichtet. Bemalte Pappprospekte, die mal eine Fensterfront in der Villa von Pünktchens Eltern darstellen, mal ein nächtliches Arbeiterviertel andeuten, rufen mit einfachsten Mitteln das Berlin der frühen1930er Jahre herauf. Eine wundervolle Hommage an die Original-Illustrationen in Kästners Buch. Die nostalgischen Bilder und Kostüme, die aus einem UFA-Film mit Emil Jannings und Lilian Harvey stammen könnten, haben märchenhafte Atmosphäre und passen auch perfekt zur Krimihandlung, in die Pünktchen und Anton stolpern. Aber sie versperren trotzdem nicht den Blick auf immer noch aktuelle Probleme, derer sich Kästner charmant-leger angenommen hat. Wenn Pünktchen sich in einer Gesangsnummer ihren Frust darüber, dass ihre Eltern nie Zeit für sie haben, von der Seele singt, wissen viele Kinder vermutlich genau, was sie meint.
ab 6 Jahren; zahlreiche Vorstellungen bis zum 27. Januar 2015, Großes Haus.
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