Nichts ist so sehr stetem Wandel unterworfen wie die Stadt. Wo viele Menschen, viele Professionen, Interessen und Energien eng beieinander leben, sind Stein, Stahl und Asphalt in Wahrheit fließende Elemente: Was gestern für alle schön und sinnvoll ist, steht morgen hässlich im Weg. – Da gibt es einen schönen, alten Bahnhof, im Krieg wird er teilzerstört.
In den 50ern wird er im Stil der Jahre wiederaufgebaut, doch bald fangen die Waren und Menschen an, die Schiene und damit auch den Bahnhof zu meiden. Sein Besitzer, die Bundesbahn, lässt ihn herunterkommen, erschwerend wirkt, dass die Station auch den Kontakt zum innerstädtischen Verkehrssystem verloren hat: Die Straßenbahn vor seiner Tür wurde eingestellt, das Busnetz zu ihr hin zu führen, ist, da es ein O-Busnetz ist, viel zu teuer. Irgendwann kommt in solcher Situation der Moment der Entscheidung: Sanierung, Neunutzung oder Abriss? Wie man eine derartige Lage, in der jede Stadt entweder so oder immer wieder steht, meisterlich löst, beweist Solingen, um deren (ehemaligen) Hauptbahnhof es hier geht.
1910 im neoklassizistischen Stil erbaut, 1956 durch einen vollverglasten Pavillon mit zeittypischer Eckenrundung auf die Höhe des Zeitgeistes gehoben, war das Gleisgebäude in späteren Jahren zum Schmuddelort der südlichen Innenstadt herabgesunken. Obwohl 1978 ein zu den Gleisen hin gelegener Uhr turm wegen Baufälligkeit abgerissen worden war, wurde das Ensemble 1993 unter Denkmalschutz gestellt. Damit war der Ausweg Abriss versperrt. Weil aber ein Bahnhof einer Regionalstrecke (zwischen Solingen und Remscheid), der an den städtischen ÖPNV nicht angeschlossen ist, unsinnig ist und bliebe, kam unter den Solinger Stadtplanern eine nicht ungeniale Alternativlösung auf: Zwei neue Haltestationen werden westlich und östlich des alten Hbf genau an den Schnittstellen mit dem O-Bus-System angelegt; der Hbf selbst wird gekauft, vom Gleis genommen und zum Kristallisationspunkt eines neuen kreativen Netzes gemacht: der im Bergischen Land boomenden Design-Szene. Und wird zugleich zum neuen, schicken Zentrum des Quartiers Südliche Innenstadt.
Dieser Stadtteil ist ein gewachsener, architektonisch aber wenig anziehender Mix aus Wohnen, Gewerbe, Einkaufen und Freizeit, den südlichen Rand markiert das Gelände der Schneidwarenfabrik Zwilling, seine Mitte das der Maschinenbaufirma Evertz. Der Stadtentwicklungsplan von 1993 formuliert sieben Leitprojekte, die teils den vorhandenen Raum attraktiver machen sollen, teils Einzelvorhaben forcieren. Nachdem vor fast zwei Jahren Egon Evertz, ein passionierter Geiger, der städtischen Musikschule umfangreiche, wenn auch architektonisch unauffällige Räumlichkeiten mitten in seinen Fabrikhallen eingerichtet und damit auch zur Belebung des Viertels beigetragen hatte (Beispiel für »Lebendige Unternehmenskultur «), ist mit der meisterlichen Metamorphose des alten Hauptbahnhofs zum »Forum Produktdesign« der bisherige Höhepunkt des Solinger Innenstadtumbaus erreicht. Die ehemalige Eingangshalle, die jetzt eine wunderbare Eleganz ausstrahlt, ist zum großzügigen Ausstellungssaal geworden; im Altbau befinden sich ein Restaurant sowie die Büro- und Forschungsräume des neu gegründeten Bergischen Instituts für Produktentwicklung und Innovationsmanagements, eines An-Instituts der Uni Wuppertal. Beide Gebäudeteile sind durch einen neuen, kubischen Baukörper verbunden (Entwurf: Ladleif Architekten).
Während im Forum die erste Ausstellung eröffnet ist (Gestaltungsentwürfe aus neun europäischen Design-Hochschulen), wird die Schau des benachbarten Plagiarius-Museum erst nach dem Sommer eröffnet: die dreistesten Produktkopien der Welt. Das originelle Ausstellungshaus bildet die Spitze eines 180 Meter langen Gebäudes, das derzeit saniert und diesen Sommer an Künstler und Handwerker übergeben wird: die ehemaligen Abfertigungshallen des Güterbahnhofs. In ihnen entstehen Ateliers, eine weitere Kunstausstellungshalle sowie eine Gaststätte. Weitere Gebäude für Design-affines Gewerbe sollen parallel dazu entstehen, sodass das gesamte Areal – Südpark genannt – ein neues, citynahes Unterzentrum ergeben wird. Kosten: 37 Millionen Euro. Viel Geld. Das viel bewegt hat. //