TEXT: STEFANIE STADEL
Ein Stückchen Reh, der Rumpf vom Hund, ein Kaninchenkopf… was da auf dem großen Tisch im Atelier zusammenkommt, sieht nach Massaker aus – doch trotz allem vergleichsweise harmlos. Denn diesmal waren es bloß gut gemachte Gummitierchen aus dem Spielzeugfachhandel, die Thomas Grünfeld zerstückelt hat. Normalerweise aber vergreift sich der Künstler an lebensechten Präparaten, die er auseinandernimmt, um sie anschließend in neuen Kombinationen wieder zusammenzubasteln. Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt 1990 in einer Londoner Galerie provozierten jene »Misfits« noch heftige Proteste. Tierschutz-Aktivisten fürchteten, dass die Hähnchen und Häschen eigens für Grünfeld ihr Leben lassen mussten. Andere warfen dem Künstler vor, seine perfekt gemachten Samplings wollten die Genmanipulation verherrlichen. Polizeischutz musste her.
Inzwischen ist das längst nicht mehr nötig. Keiner regt sich mehr auf, wenn Grünfeld Dachse mit Lämmern oder Kängurus mit Pfauen kreuzt. Selbst Greenpeace greift gerne auf Motive aus dem Labor des Kölner Bildhauers zurück, wenn es darum geht, Veröffentlichungen zum Thema Gentechnik zu illustrieren.
Die Tiercollagen sind bis heute sicher seine bekanntesten Werke. Auch die spektakulärsten. Deshalb aber nicht unbedingt das Beste, was Grünfeld in den vergangenen drei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Es ist eine ganze Menge. In der großen Retrospektive jetzt im Museum Morsbroich stehen die »Misfits« nur für eine von 16 Werkgruppen zwischen »Röcken«, »Polstern« und »Tabletts«, »Gummis«, »Filzen«, Fotos. Grünfeld breitet sein komplettes Repertoire dort aus – weder chronologisch, noch nach Werkgruppen sortiert. Viel mehr als solche Ordnungsmuster scheint den Künstler die wohnliche Anmutung des Ganzen zu interessieren.
So zumindest vermutet man mit Blick ins verschachtelte Pappmodell, das im Kölner Atelier des Künstlers die vielen kleinen und größeren Räume rekonstruiert und dem Künstler dabei hilft, sich mit seinen Werken häuslich einzurichten im barocken Wasserschlösschen. Hier posiert eines der »Misfit«-Modelle aus Spielzeugfiguren, da erkennt man eine jener formlosen Lachen wieder, die Grünfeld seit den frühen 90ern aus Schaumstoff und Naturkautschuk fertigt, um sie lang und breit auf dem Boden zu platzieren.
HYBRIDENPOLSTER
Auch einige Filzarbeiten werden einziehen ins Museum und das alteingesessene Wandbild in neues Licht rücken. Ebenso Grünfelds »Polster«: Zitate der superkühlen Minimal Art, die in ihrem senffarbenen Filz-Look so etwas wie Behaglichkeit ausstrahlen – fast wie vertraute, etwas angestaubte Möbelstücke wirken.
Ähnlich wie die »Misfits« sind es Hybride. Mischwesen, die zwischen Kunst- und Gebrauchsobjekt, zwischen Einrichtungsgegenstand und Skulptur changieren, was wohl kaum anderswo so klar würde wie im wohnlichen Schloss-Ambiente, wo Grünfeld jedem Raum seine eigene Note verleihen kann. Wo selbst die merkwürdigen Mischwesen ihre befremdliche Wirkung verlieren.
Anfangs steckte Grünfeld diese Schöpfungen noch in Vitrinen; die Schau zeigt eine Reihe von Beispielen. Doch dauerte es nicht lang, da befreite er sie aus diesem naturwissenschaftlichen Kontext, legte das Getier einfach in den Raum – ganz gelassen, ohne jede Aufregung. Sie scheinen sich absolut wohl zu fühlen in ihrer absonderlich zusammengestückten Haut. Und wirken auf Schloss Morsbroich beinahe wie Haustiere.
Vielleicht ergreift das heimelige Gefühl ja auch den Besucher. Bei Grünfeld ist es auf jeden Fall mit im Spiel. Das verrät schon der Titel seiner Schau: »homey«. Der steht nicht nur für »heimelig«, sondern deutet gleichzeitig als Abkürzung von »homeboy« auf die Herkunft des Künstlers hin. Just in Leverkusen ist Grünfeld 1956 zur Welt gekommen. Sein Vater habe einst Besucher durchs Museumsschloss geführt, verrät der Künstler und gesteht, dass er nur darauf gewartet habe, selbst mit seiner Kunst dort einziehen zu dürfen.
Ebenso freimütig wirft er ein, dass die Schau nun in Leverkusen – abgesehen von einer kleineren Präsentation im Kölnischen Kunstverein – das erste institutionelle Solo in seiner Karriere sei. Was einen wundern könnte. Ist Grünfeld doch ansonsten durchaus präsent in der Szene. Namhafte Galerien vertreten ihn, und seine »Misfits« gehen ein und aus auf internationalen Messen. Obendrein hat Grünfeld seit neun Jahren eine Professur als Bildhauer an der Akademie in Düsseldorf inne.
KÜNSTLERISCHE VORBILDER
Überhaupt scheint er sich nie sonderlich schwer getan zu haben in seiner Künstlerlaufbahn. Nach dem Studium in Stuttgart hatte Grünfeld sich in den 80er Jahren – genau zur rechten Zeit also – in der damals boomenden Kunstmetropole Köln niedergelassen und fand schnell sein Auskommen, dazu allerhand Anregung und künstlerischen Austausch. Die Monochromien eines Gerhard Merz haben ihn beeindruckt, die frühen Schriftbilder von Reinhard Mucha oder auch Isa Genzken mit ihren Ellipsoiden. Sein wichtigstes Vorbild entdeckte Grünfeld damals aber in den USA bei Richard Artschwager und dessen Hin und Her zwischen Kunst und Design.
Die Malerei der seinerzeit in Köln aktiven Neuen Wilden interessierte ihn dagegen wenig. Völlig unverständlich sei ihm gewesen, wie Sammler in ihren picobello ausgestatteten Wohnungen mit lauter schicken Einrichtungsgegenständen an der Wand Platz ließen für ein expressives Acrylbild. Viel interessanter habe er es gefunden, Kunstwerke aus denselben Materialen wie die Möbel zu schaffen und sie in das Ambiente zu implantieren. »Als Störenfried – den man aber nicht sofort entlarvt.«
Frühe Beispiele für den ironischen Umgang mit bekannten Einrichtungsgegenständen bieten etwa seine »Tabletts«: rechteckige Wandobjekte mit einer Leiste als Abstellfläche, für Topfpflanzen etwa. Ebenfalls in die Kerbe zwischen Kunst und Design schlagen Grünfelds »Polster«, die alles, was den Minimal-Künstlern lieb und teuer war, in dickem Filz aufweichen.
Solche Art Kunst über Kunst war damals en vogue. Und sie hat Grünfeld groß gemacht – in Köln und in der weiten Welt. Sein kleines Leverkusen hat er dabei offenbar nicht vergessen. Bis heute verbindet ihn eine Dauerkarte von Bayer 04 mit der Heimatstadt. Und ins Entrée seiner großen Schau dort hängt er als Blickfang das heimische Autobahnkreuz in Filz.
Für den Rest des Parcours’ hat er ein festes Ziel vor Augen: Bloß keine Langeweile aufkommen lassen unter den Gästen im Schloss. Ein Gefühl, dass auch er offenbar schwer ertragen kann. Anders wäre jener ständige Wechsel zwischen den vielen ganz unterschiedlichen Werkkomplexen kaum zu erklären.
Auch an diesem Tag treibt den Künstler die Unruhe. Grünfeld ist auf dem Sprung. Ausnahmsweise nicht ins Museum, wo vor der Ausstellungseröffnung noch einiges zu tun ist. Sondern in die eigene Wohnung – auch sie steckt mitten in der Renovierung.
Bis 8. September 2013. Museum Morsbroich, Leverkusen; Tel.: 0214/855560. www.museum-morsbroich.de