// »Jetzt bin ich doch mal gespannt, was Sie uns zaubern!« Noch vor wenigen Jahren wäre diese Aussage nicht als Herausforderung mit vage drohendem Unterton, sondern als Kompliment aufgefasst worden: Zaubern kann nur, wer über magische Kräfte verfügt. Aber so wollte die rüstige Dame ihren Satz keinesfalls verstanden haben. Mit verschränkten Armen vor der Brust und Skepsis im Blick stand sie vor dem Mönchengladbacher Architekten Ralph Jammers – und der machte sich an die Arbeit.
Ob sich das Renter-Ehepaar jemals an einen Architekten gewandt hätte, wie man ihn früher kannte? An einen unnahbaren Halbgott in Schwarz, absolute Autorität für Farbe, Form und Harmonie im Raum? Der Architekt sah sich als Universalgenie, als Baumeister mit übergreifendem Gestaltungswillen, welcher sich vom »Löffel bis zur Stadt« (Max Bill) erstreckte. Kosten und Termine durften keine Rolle spielen und wurden zuverlässig überschritten. Die Architekten haben lange gebraucht, um sich von diesem Klischee zu entfernen. Doch es wird noch einige Jahre dauern, bis es sich bei diesem Image tatsächlich um ein Zerrbild aus der Vergangenheit handeln wird.
Die Eheleute, die Ralph Jammers anriefen, haben sich in schwülstigen Holzmöbeln, dem viel gescholtenen »Gelsenkirchener Barock« eingerichtet. Da wundern sich die Menschen, dass ihr Wohn- und Esszimmer düster und bedrü-ckend wirkt. Kein Wunder jedenfalls für den Fachmann, für Jammers. Wie jeder Architekt, so ist auch er schon oft von Freunden und Bekannten darauf angesprochen worden, dass etwas zuhause nicht stimmt. Irgend etwas stört immer: Der Flur ist zu dunkel, die Lampe gefällt nicht, der geerbte Schrank passt nicht so recht zu Tisch und Stühlen. Kurz: Das Raumgefühl in Wohnung oder Haus behagt den Bewohnern nicht. Unwohlsein macht sich breit. Dazu gesellt sich Unsicherheit. Stimmt die Selbstdiagnose? Ist mit unserem Geschmack alles in Ordnung? Sind wir noch auf der Höhe der Zeit, oder lassen wir uns nur von modischen Strohfeuern anstecken und verrückt machen?
Dem Architekten fällt die Lösung nicht schwer, aber sie ist in seinem Berufsbild auf diesem Niveau der Klein- und Kleinstaufträge nicht vorgesehen. Architekten werden doch nur fürs große Ganze zu Rate gezogen, so wird vermutet. Wenn neu gebaut wird, also einmal im Leben. Und wer leistet sich schon einen Innenarchitekten, einen Fachmann, dem der Ruf des Exklusiven noch lautstärker vorauseilt! Die Möbelhäuser wiederum locken zwar mit konkreten und schnellen Lösungen, aber hier geht es stets um Kauf, nicht um die vorgeschaltete individuelle Beratung durch einen unabhängigen Blick von außen.
Jammers und sein Kollege Frank Schwinning haben sich Gedanken über dieses Dilemma gemacht. Wie können Architekten Wohnberatung für den Alltag leisten, ohne dass sich dabei eine der beiden Seiten ökonomisch verausgabt? Die Lösung fanden sie in einem Grundprinzip der Moderne: in der Standardisierung. Sie entwi-ckelten einen klaren Beratungsfahrplan mit fes-ten Terminen, Leistungsbeschreibungen und Preisen. Wer eine fixe Pauschale von 185 Euro investiert, erhält ihre Bestandsaufnahme, Analyse und Beratung mit dem Ergebnis eines konkret skizzierten und bezifferten Lösungsvorschlags. Aus der Unverbindlichkeit des nachbarschaftlichen »Kannst Du nicht mal eben, Du bist doch Architekt« haben sie ein Geschäftsmodell entwickelt. »Verbindlichkeit ist ein wichtiger Erfolgsfaktor«, sagt Schwinning: Für die nach einem Rat suchenden Bewohner ist die strukturierte und kostenpflichtige Thematisierung ihres Unbehagens kein beliebiger Freundschaftsdienst mehr, sondern sie erscheinen pünktlich und vorbereitet zum Termin.
Was also tun, damit das falsche Neo-Barock die Atmosphäre nicht auf Dauer niederdrückt? Jammers Arbeit besteht darin, im Rahmen der Beratungspauschale das Problem vor Ort zu untersuchen. Er unterhält sich intensiv mit seinen Auftraggebern, erforscht ihre Wünsche, identifiziert die persönlichen Vorlieben, ihre Tagesabläufe – und die unverrückbaren Erbstücke. Das Resultat in diesem speziellen Fall: Ein schwerer, klobiger Schrank soll einem hellen, schlichten Sideboard weichen. Die Lösung ist einfach, überzeugend und überrascht die Auftraggeber. Die Dame des Hauses ist zufrieden. Sie kann sich mit den erhaltenen Unterlagen nun an einen Schreiner wenden, oder sie wird selbst im Möbelgeschäft fündig. Wahrscheinlich wird sie aber dem Architekten den Folgeauftrag erteilen, auch für die Umsetzung seines Vorschlags zu sorgen.
Aus dem vielfach aufgetretenen Einzelfall ist ein System geworden. Jammers und Schwinning haben ihr Beratungs-Vorgehen für Problemzonen unterhalb des üblichen Architekten-Niveaus so ausgearbeitet, dass es auch als Standard von anderen Kollegen genutzt werden kann. Der Gedanke an ein ganz neues Geschäft war damit geboren: Franchise. Die beiden Kreativen müssen dafür zunehmend kaufmännische Gesichtspunkte berücksichtigen. Sie stellen einen Businessplan auf und nehmen mit Erfolg und Auszeichnung an einem Wettbewerb der Kölner Sparkassen teil, in dessen Verlauf auch ihre Unternehmensplanung kritisch analysiert wird. Zugleich lernen sie einen Kaufmann kennen, der mit einsteigt. Der Firmenname ist griffig und schüttelt alle landläufigen Vorstellungen vom Architekten-Dünkel ab: Room Doctor.
Bislang haben sich bundesweit 35 diplomierte Architekten, die Mitglieder ihrer Kammern sein müssen, als selbstständige Franchisenehmer dem Unternehmen angeschlossen, das unkonventionell in einem ehemaligen Bunker
in Mönchengladbach residiert. Die meisten arbeiten in Ballungsräumen. Insgesamt wird ein Gebiet mit 20 Millionen Menschen abgedeckt. Wachstum ist fest eingeplant: Im nächsten Jahr sollen sich 100 Architekten von dem System überzeugt haben, als Obergrenze sind 200 Franchisenehmer anvisiert. Aber die Ungleichverteilung der Bevölkerung lässt eine flächenmäßig einheitliche Streuung nicht zu. Landärzte gibt es kaum, und vermutlich wird sich daran auch nicht viel ändern.
Der wesentliche Reiz für die Architekten liegt im Zubrot, das in Aussicht gestellt wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Verdienstmöglichkeiten dieser Berufsgruppe so katastrophal sind wie kaum zuvor. Mehr als 97.000 Architekten waren zum 1. Januar 2007 aktiv gemeldet. Darüber hinaus gibt es eine erhebliche Dunkelziffer all der Diplomingenieure, die zwar ihr Studium erfolgreich abgeschlossen, aber sich nicht als Mitglieder ihrer Kammer eingeschrieben haben, weil sie die hohen Kosten für Gebühren und Versicherungen nicht aus den geringen Einnahmen bestreiten können.
Ein bis zwei Beratungsaufträge pro Monat erhält jeder Room Doctor, jedes Mal winkt die Chance auf einen lukrativeren Folgeauftrag. Das kann der Ausbau eines Dachgeschosses sein, der mit 40.000 Euro Bausumme schon einen klassischen Architektenauftrag darstellt, oder sogar das Gespräch mit den Enkeln einer älteren Dame, die sich in ihrem neuen Wohnzimmer so wohl fühlt, dass den Architekten der Neubau des Einfamilienhauses anvertraut wird.