Derzeit läuft „Germanys Next Top Model“ auf Pro7. In der vergangenen Woche schickte die strenge Heidi ihre hoffnungsvollen Nachwuchsschönheiten auf das Drei-Meter-Brett und ließ sie mit Taschen in der Größe von Zwei-Mann-Zelten in der Hand in einen Pool springen. Dabei sollten sie natürlich in der Luft toll aussehen und auf jeden Fall schöne Füße machen. Zur „Elimination“ am Schluss jeder Folge müssen alle dann noch einmal möglichst absurde Kleider tragen, die manchmal von richtigen Designern sind, manchmal aber auch einfach von irgendwelchen Menschen aus Folien zusammengetackert wurden und garantiert nur den einen Sinn haben: Die „Mädchen“ an den untragbaren Kreationen kläglich scheitern zu lassen.
Die Frage, ob das alles irgend etwas mit dem wahren Model-Business zu tun hat, stellt sich in der 14. Staffel längst nicht mehr. Im oberen Foyer des Schauspielhauses Bochum haben der Choreograph Trajal Harrell und Bühnenbildner Stephen Kiss einen raumgreifenden Laufsteg aufgebaut. Er ist mit einem Kirschenmuster beklebt und in der Mitte sind kleine Wasserbecken eingelassen, in denen Dollarnoten schwimmen. Wie alle Arbeiten von Harrell speist sich auch „Séance de Travail“ aus dem Kosmos der Mode. Die gut halbstündige Performance ist der Form nach ein klassisches Defilee.
Immer mehr kleine Irritationen
In der ersten Viertelstunde schnarrt ein schleppender Industrial-Beat aus den Lautsprechern, gelegentlich legt sich eine orientalisch anmutende Gesangslinie darüber. William Bartley Cooper, Jia-Yu Corti, Dominik Dos-Reis, Rob Fordeyn, Ann Göbel, Hanna Hilsdorf, Max Krause, Michael Lippold, Perle Palombe, Owen Ridley-DeMonick, Vánia Doutel Vaz, Ondrej Vidlar und Lukas von der Lühe schreiten über den Catwalk, Pose, halten, ab. Verwirrend nur, dass sie alle Kleidung tragen, als wäre dies nur eine Probe: T-Shirts, Jogginghosen, Sneaker (Kostüme: Stephen Galloway). Mit jedem neuen Walk mischen sich kleine Irritationen dazu. Hüftschwünge werden exaltierter, Männer kopieren weiblich anmutende Posen, dort trägt einer plötzlich einen Ohrring, einen Halsschmuck oder Gürtel mit Fransen aus Perlen, der eine Blick ins Publikum ist vielleicht etwas zu fixierend, jemand hat Cowboystiefel an.
Dann wird der Industrial-Beat unterbrochen von einer cheesy Synthie-Pop-Nummer. Die Musik beginnt hin und her zu springen als wäre der DJ betrunken, irgendwann gibt’s kurz auch Philip Glass, dann Blues. Auf dem Laufsteg wird es immer bunter. Der halbe Kostümfundus scheint vorgeführt zu werden, manches sieht aus, als wären es nur ein paar umgebundene Stoffreste aus der Schneiderei, viel Paillette ist dabei, nackte Haut, ein BH kann auch zum Gürtel werden. Schrill und trashig ist das auf den ersten Blick, als würden Kinder mit dem Inhalt des mütterlichen Kleiderschrankes Modenschau spielen.
Tatsächlich setzt hier Harrell Zeichen, die mit den Erwartungen und Vorstellungen der Zuschauer spielen. Könnte dieser Paillettenstoff eine Burka sein, irgendwie orientalisch mutet da ein geknotetes Tuch an, ein Schmuck ist vielleicht indisch oder doch eher afrikanisch? Die Geschlechtergrenzen sind mittlerweile sowieso vollständig aufgelöst. Doch Harrell dreht die Schraube noch einmal weiter und lässt seine Models nun mit schrecklich verzerrten Gesichtern und krampfenden Bewegungen paradieren. Was nach abschreckender Freak-Show aussieht, eigentlich vom Butoh inspiriert ist, kippt immer wieder zurück, in das, was von einer Moden-Show erwartet werden könnte. Zwischen der kunstvollen Verunstaltung der Bewegung und der eingeübten Pose für die Fotografen am Laufsteg ist nur eine hauchdünne Linie.
So schlicht die Struktur der Performance ist, so spielerisch die Kostüme zusammen gewürfelt sind, so hart das alles immer wieder an der Grenze zwischen Camp und Trash entlang schlittert – Trajal Harrell weiß genau, was er tut und wie er beim Zuschauer erreicht, was er will. Das Publikum ist das einer Modenschau genauso wie das einer Performance, die nur vordergründig aussieht wie eine Modenschau. Beide Sphären gehen nahtlos ineinander über, nicht zuletzt, weil auch die Mode immer wieder für sich in Anspruch nimmt, Kunst zu sein. In diese verschwimmende Kontexte setzt Harrell weitere Zeichen der Verunsicherung, zu denen der Zuschauer eine Haltung finden muss. Jede Suche nach ethnischen Zuweisungen in den Kostümen, jede Frage, ob eine Pose nun eher männlich oder weiblich ist, jede Befragung der Körper nach Schönheit, Erotik oder Hässlichkeit verweist nur zurück auf die Erwartungshaltung der Schauenden. „Séance de Travail“ ist ganz unschuldig. Trajal Harrell schreibt nichts in die vorbei laufenden Körper. Wir, die Zuschauer, sind es, die diese Körper mit Vorstellungen und Erwartungen bedrängen und befrachten, die ständig Kategorien und Zuschreibungen suchen. Harrell lässt in dieser halbstündigen „Arbeitssitzung“ ganz elegant spielerisch all diese Kategorien zerbröseln, bis der Blick nicht mehr nach Geschlechtern und Ethnien, nach Rollenbildern und ästhetischen Urteilen sucht – und „schöne Füße“ ganz sicher nicht mehr das Maß sind.
Weitere Vorstellungen: 4. & 6. April, jeweils um 19 und 21.30 Uhr