TEXT: SVENJA KLAUCKE
Was den Menschen dazu brachte, sich vom Höhlengnom zum Kulturgeschöpf emporzuschwingen, weiß man genau. Nachzulesen im Gilgamesch-Report der Sumerer aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Nach diesem würde der Urmensch Enkidu wohl heute noch Gras fressend, struppig, staubig, schlunzig in der Steppe herumlümmeln, hätte nicht ein Weib vorbeigeschaut, dem Zottelwesen Mann die Zivilisation zu bringen. Indem sie ihm eintricherte, Brot zu essen und Bier zu trinken. Wobei von entscheidender Wirkung das Bier war. Der historische Moment im O-Ton: »Enkidu trank sieben Becher Bier und ihm wurde leicht ums Herz. In diesem Zustand wusch er sich und wurde ein Mensch.« Diese tiefsinnige Homestory aus dem ersten großen Stammwürzebuch der Menschheit lehrt uns, dass Bier die Schaumkrone der Schöpfung ist: der Zaubertrank der Zivilisierung, der Saft , der Tatendurst für Großes schafft (sich waschen).
Umgekehrt lässt der stete Rückgang des Bierkonsums den Schluss zu, dass wir in einer Zeit des Kulturverfalls leben. Nur im Zweistromland zwischen Emscher und Ruhr ist Hopfen und Malz noch nicht ganz verloren. Gemessen am Bier- und damit am Zivilisations-Ausstoß ist NRW die größte Kulturregion Deutschlands. Dank dem Aufstieg Westfalens zur heute führenden Brauregion – durch Dortmunds Brauindustrie. Ab 1879 eroberte Dortmunder Export-Bier den Weltmarkt, lange Zeit war Dortmund Europas Bier-Kapitale Nummer Eins, also quasi damals schon Kulturhauptstadt Europas. In ihrer Hopfenblütezeit in den Sechzigern war die Stadt, nach Milwaukee, sogar Vizeweltmeister der Bierproduktion.
Zu dieser kleinen Betrachtung ermuntert uns die frohe Botschaft , dass Dortmunds neues Brauerei-Museum endlich eröff net ist. Nachdem das alte Bier-Museum auf dem Kronenbrauerei-Gelände vor fünf Jahren geschlossen wurde, dauerte es ein wenig bis zur Neueröff nung auf dem Areal der Actien- Brauerei. Erst sollte »ein völlig neues« Ausstellungskonzept ausreifen. Jetzt wurde es als »neues Infotainment-Angebot Brauereierlebnis Dortmund« abgefüllt. Neben westfälischer Biertradition vom Mittelalter bis zur Gegenwart ist als Novum die »moderne Kulturgeschichte des Bieres« zu verkosten: »Konsum, Werbung, Verkauf, Vertrieb, Marketing «. Holt das jemanden hinter dem Sudkessel hervor? Zum alten »Lehrmuseum« pilgerten jährlich rund 40.000 Bierwallfahrer, etwa zu dem wundersamen Blick in einen von innen beleuchteten, riesigen Gärbottich und der Erleuchtung, dass die wirklich guten Dinge aus dem Chaos entstehen. Wir meinen: Wenn schon neu, dann richtig. Sind nicht die Braumeister, notgedrungen, längst Baumeister des Neuen? Wie schon mal in der Bier-Baisse des 18. Jahrhunderts, als die Modegetränke Schokolade und Kaff ee dem Gerstensaft das Wasser abgruben, probte das Volk in den 1990ern erst die Charakterrevolte mit schöngeistigem Wein-Gesüffel statt rülpsiger Gerstenplempe und frönte dann der Regression: je herber und bitterer die Zeiten, desto süßer (Lemon-, Cherry-, Pfi rsich-, Mango-Bierlimos), exotisch ferner (Tequila-, Caipirinha-, Curuba-Flavour) und milder (zuletzt »Mild plus«) wurden Biertrend und Trendbiere. Zuletzt verzapft : Anti-Aging- Bier mit Algen und Sole. Badebier. Denken wir an die kryptische Stelle bei Gilgamesch: »Sieben Becher Bier … und wusch sich«! Das ist glasklar ein Trend-Wink. Bierschaumbäder in Sudkesseln, Gärbottiche zu Weizenwhirlpools, Hefe-Bodytreatments, Malzmasken und Bierbrausen statt Bierbrause, das wäre eine Innovation des Deutschen Reinheitsgebots, das stilvolle Wellness-Zusatzprogramm für wirklich neuartige Brauereimuseen. Jedenfalls, sobald das Menschengeschlecht wieder reifer für Herbes wird. Vorerst triumphieren auch beim Beauty-Entertainment die alten Bierkonkurrenten, erobern »Wein- und Schokoladen-Therapien« die Recreation-Center. Neben Traubenmost-Treatments vor allem die »Chocolate Escape« mit Bädern, Nougat- Kakaomassagen, Schoko-Fondue-Wickeln und Mousse-Packungen. Fehlt nur noch die Mozartkugel-Refl exzonenmassage. Höhepunkt der Süßbrausesause: die »Chocolate Mud Therapy« des US-Marktführers Hershey, eine heiße Schokodusche aus 210 Düsen. Nein, noch hat eine kultivierte Bitterhopfenblüte gegen das kindheitsselige Süßmalzmalheur keine Chance. Betrüblicher Beweis: die schön scharfe Barbecue Wrap-Wellness-Idee aus Dallas (erst Cabernet-Wein-Dusche, dann Maismehl-Ananasstücke-Peeling, danach marinieren in einer Ganzkörperpackung aus Tomatenmark, Gewürzen, Cayennepfeff er, Limettensaft , eingetütet in Plastikfolie, nach 30 Minuten ist der Gast gar wie ein Steak) konnte sich nicht durchsetzen. Bis zum Beginn einer herbwürzigen Bierbadekultur-Ära bleibt uns also nur trinken und abwarten. Im bewährten wiedergefundenen Paradies: dem Biergarten.
Brauerei-Museum, Steigerstraße 20, 44145 Dortmund; Buchungen unter Tel. 0231 / 18 999-400; brauereierlebnis@dortmund-tourismus.de