Man wartet geradezu darauf, Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu« aus dem Nebel treten zu sehen, wenn der Dampfer, der auch ein Totenschiff sein könnte, an dem schroffen Eiland vor der amerikanischen Ostküste seine beiden Passagiere entlässt. Das Boot wird sie nicht mehr abholen müssen. Das untröstliche Schwarz-Weiß des Neorealismus oder der Fotografien von Ansel Adams stiften die Bilder für diesen grandios düsteren Genre-Film, Robert Eggers’ zweitem nach seinem preisgekrönten Debüt »The Witch«.
Die Erzählung wiederum lässt denken an das Land von Nathanael Hawthorne und Herman Melville, an die Hexen von Salem und den herrschsüchtigen Ahab und seine mörderische Obsession im Zweikampf mit Moby Dick. Thomas Wake und sein Assistent Efraim Winslow sind für vier Wochen die Leuchtturmwärter vom Dienst. Der Alte (Willem Dafoe mit loderndem Blick und faulen Zähnen wie die Figur auf einem Matthias-Grünewald-Altar) führt apokalyptisch poetische Rede, als hätten Shakespeare und Walt Whitman sie ihm souffliert. Tyrannisch spielt er den Käpt’n, der seinen »Burschen« schuhriegelt, scheucht und schuften lässt, während nur er allein hoch oben das reflektierende Licht in der Finsternis, in der Nässe und inmitten der Stürme aus Nordost hütet.
Unter der Fuchtel des Alten
Es geht nicht mit rechten Dingen zu auf dem von grauer See umtosten Fels – und ebenso wenig in den Köpfen der beiden Männer. Robert Pattinson, die Kippe im Mund, ist der junge Winslow, der unter der Fuchtel des Alten leidet und weiß, weshalb er tunlichst den Rum meiden, Wakes Trinkspruch vom bleichen Tod und den flehenden Seelen nicht wiederholen und dessen Warnung folgen sollte, die Möwe nicht zu töten. Mit ihrem Schnabel hackt sie nachts gegen sein Fenster, reißt ihm draußen das Hosenbein auf und verhöhnt mit ihrem kreischenden Lachen seine Schwäche.
Die Gegenstände nehmen in dem stilistisch geradezu besessen inszenierten Film ein gespenstisches Gesicht an und scheinen organisches Leben zu haben: die eiserne Wendeltreppe hinauf in den Turm und das Fallgitter, die Zisterne mit brackigem Wasser, das Riff mit dem ins Meer gesenkten Hummer-Kasten, die Kohle, die der Ofen frisst, das rotierende Rad und Herz der Lichtmaschine. Wie in Stephen Kings und Stanley Kubricks »Shining« trüben sich die Sinne. Halluzinationen von Nixen und Kraken, Delirium, Rausch und Wahn nehmen Besitz von Wake und Winslow. In einem sexuell aufgeladenen, freudianisch tollen Fantasie-Bildertanz gibt Winslow seinen Verstand ans Dunkel ab, bis ihn Leuchtfeuer verzehrt.
»Der Leuchtturm«, Regie: Robert Eggers, USA 2019, 100 Min., Start: 28. November 2019