Was den Zeitgeist angeht, sollte man sich nie zu sicher sein. Er ändert sich schneller, als man denkt. Auch in der Freizeit. »Ein Parkbesuch soll nicht daran scheitern, dass ein Mitglied einer Familie Autoreparaturen oder Autowäsche betreiben will«, hieß es im Auslobungstext des Revierparks Vonderort, der 1973 in Oberhausen-Osterfeld eröffnet wurde. Das war von den Planer*innen immerhin konsequent gedacht – wenn schon Naherholung, dann bitte für die ganze Familie! Während sich die Kinder im Schwimmbad vergnügen, die Großeltern durch die Blumenrabatten schlendern, sollte Vati eben auch in aller Ruhe den Wagen waschen können. Das war der Zeitgeist – der Junge musste an die frische Luft, also fuhr man mit dem Auto hin.
Arbeit und Erholung, Industrie und Freizeit – das gehört im Ruhrgebiet schon länger zusammen. »Das ist im Prinzip die paternalistische Idee, die ab den 1870er Jahren im gesamten Kaiserreich aufkam. Dass man da, wo die Umwelt versaut wird, den Menschen so etwas wie Erholung bietet«, beschreibt es Heinrich Theodor Grütter, der Direktor des Essener Ruhr Museums. Daraufhin waren überall Parks entstanden – wie etwa der Kaisergarten am Schloss Oberhausen. Fast jede Stadt hatte seinen eigenen, Großstädte wie Essen sogar mehrere, wie die Anlagen in Steele oder in der Innenstadt. Das lag auch an den späten Eingemeindungen erst in den 20er Jahren. »Bis 1927 gab es im Ruhrgebiet 350 selbstständige Gemeinden, die dann später zu den 53 Städten zusammenwuchsen«, sagt Grütter. »Borbeck war damals das größte Industriedorf Deutschlands! Mit 100.000 Einwohnern.« Auf den Höhen des Ruhrtales kauften die Oberbürgermeister gezielt Ackerflächen, um dort Bäume als Sauerstoffspender anzupflanzen – der daraus entstandene Essener Stadtwald ist bis heute die grüne Lunge der Stadt.
Im »Radiogarten« Konzerten lauschen
In den 1920er Jahren bekam die Grünraumentwicklung mit den Volksgärten einen neuen Schub. Hier ging es eher um Gartenkunst und Landschaftsarchitektur mit Wasserspielen, Pavillons und Sportflächen. Dazu gehörten unter anderem die Bonner Rheinaue, die Barmer Anlagen in Wuppertal oder der Kölner Volksgarten. Der Essener Grugapark entstand 1929 aus der ersten Großen Ruhrländischen Gartenbau Ausstellung und wurde ein Jahr später als ständiger Volksgarten wiedereröffnet. Auch damals gab es denkwürdige Freizeitangebote – im »Radiogarten« etwa lauschten die Parkbesucher*innen Konzertübertragungen unter dem Grugaturm.
Ungewöhnlich waren auch die Revierparks, für die sich die Planer*innen erstmals nach Norden orientierten, ins Umfeld der Emscher. Dort verschwand ab Anfang der 1970er Jahre langsam die Industrie – Zechen wurden geschlossen und somit große Flächen frei. Von 1970 bis 1979 wurden der Gysenbergpark in Herne, die Revierparks Nienhausen auf der Grenze zwischen Essen und Gelsenkirchen, Vonderort in Oberhausen, Wischlingen in Dortmund und Mattlerbusch in Duisburg als neue Freizeitflächen eröffnet – in direkter Nachbarschaft zu dicht besiedelten Wohnvierteln.
Neben Grünanlagen und Spielplätzen gehörten Schwimm- und Wellenbäder sowie Freizeithäuser zur Grundausstattung. Das war der langsame Abschied von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft. Die Gewerkschaften hatten den Acht-Stunden-Tag durchgesetzt und samstags gehörte Vati schon längst wieder uns. Hinzu kam ein aufkeimendes ökologisches Bewusstsein, Willy Brandts »blauer Himmel über dem Ruhrgebiet« wurde langsam Realität.
Doch auch die Revierparks kamen in die Jahre – bis 2022 will der Regionalverband Ruhr (RVR) sie nun sanieren. »Sie waren einfach nicht mehr zeitgemäß«, sagt Nina Frense, Beigeordnete für den Bereich grüne Infrastruktur und Umwelt beim RVR. »In der Zeit hat man viele Tennis- oder Fußballfelder angelegt. Insofern entsiegeln wir im Rahmen der Sanierung nun großflächig und setzen stattdessen auf eine Bepflanzung mit Blühwiesen.« Zudem bekommen die Revierparks verschiedene Themen. So entstehen etwa in Mattlerbusch neue Spiel- und Klettermöglichkeiten und Urban Gardening, Vonderort soll zum »Park der Bewegung« für Fun- und Trendsportarten werden und Nienhausen zum »Wasserpark« mit einer »Route des Regenwassers 2.0«. In allen Parks gibt es umweltpädagogische Angebote für Kinder. Auch technologisch geht es voran – so soll freies W-Lan dafür sorgen, dass auch junge Menschen die Parks als Treff- und Aufenthaltsort nutzen.
Mit dem Mountainbike von Wald zu Wald
Die Revierparks werden also reanimiert. Das Ziel? Die Internationale Gartenschau, die IGA 2027. Nina Frense ist sich der Aufgabe bewusst: »Die heutigen Herausforderungen beschränken sich nicht mehr auf lokalen ›blauen Himmel‹ und Raum für einen barrierefreien Sonntagsspaziergang im Grünen, sondern sind viel weitreichender, im Wortsinn globaler Natur.« Stattdessen geht es um die Förderung des Klimaschutzes, die Erweiterung der grünen Infrastruktur für den Fahrradverkehr und dem ÖPNV. Dazu gehört auch der Ausbau der Haldenlandschaft und Projekte wie »WaldBand«, das die nördlichen Waldgebiete wie die »Üfter Mark« oder die »Haard« mit Mountainbike- und Wandertrassen erschließt. Angesichts des weiterhin bewährten Kirchturmdenkens der Ruhrstädte ist das ein kühner Plan. Die IBA, die Internationale Bauausstellung Emscherpark, hatte allerdings schon in den 90ern die von der Montanindustrie verbrauchte Landschaft reanimiert und sie wieder der Bevölkerung zugänglich gemacht. Zehn Jahre später kam dann: die Kulturhauptstadt – über alle Stadtgrenzen hinaus.
Für die IGA 2027 sind das gute Voraussetzungen – so interessiert man sich mittlerweile auch in Unna für Castrop-Rauxel. Und umgekehrt. Die Zeit der klassischen Blumenschau ist vorbei, deshalb versteht sich die IGA auch als dezentrales »Labor für die drängendsten Zukunftsfragen«, wie Mobilität, regionale Landwirtschaft und nachhaltige Energie aufzustellen. Geplant sind drei Bereiche: »Mein Garten« als Mitmach-Ebene für lokale Initiativen, urbane Gärten, Kleingartenvereine und künstlerische Interventionen im Stadtraum. Die Ebene »Unsere Gärten« soll eine Städtelandschaft mit Grünzügen, Gartenkunst und Wasserachsen präsentieren. Und »Unsere Zukunftsgärten« sich mit Hauptspielorten in Duisburg, Gelsenkirchen und Dortmund als internationale Schaufenster für Stadtentwicklung und recyclebare Architektur verstehen. In sieben Jahren kann sich einiges ändern, technologisch wie gesellschaftlich. Das Revier aber soll ein vernetzter Grünraum werden. Ob Vati oder Mutti darin dann ihre neuen Flugtaxi wienern?