TEXT: BRIGITTE FÜRLE
Wie ein gewaltiger Meteorit erschütterte Lemi Ponifasio vor wenigen Jahren am Pariser Théâtre de la Ville Publikum, Festivalwelt und Presse gleichermaßen mit »Tempest: Without A Body«, einem Stück über die zunehmende illegale Staatsgewalt nach 9/11, mit Tame Iti (bekannter Aktivist für die Rechte der Maori) als Protagonisten. Die französischen Reaktionen waren hymnisch; Le Figaro rief Ponifasio als »den langerwarteten neuen Choreografen am Tanzfirmament neben Alain Platel, Merce Cunningham und Pina Bausch« aus.
Seither sorgt der in Neuseeland beheimatete, aus Samoa stammende Künstler international für Aufmerksamkeit und Kontroverse gleichermaßen. Seine Theaterwelten sind erbaut in den nachtschwarzen Licht-Räumen der MAU-Mitbegründerin und Lichtkünstlerin Helen Todd, in denen die Körper der Tänzer gleich Landschaften und Geistern, Vögeln und gottgleichen Engeln erschaffen werden. Der Politikwissenschaftler und studierte Philosoph Lemi Ponifasio und die 1995 etablierte Company MAU (samoanisch für Vision, Haltung oder auch Revolution) sind auf den Bühnen weltweit angekommen als Botschafter eindringlich zeitgenössischer Theater-Erfahrungen, die dennoch auf die archaischen Ursprünge des Theaters verweisen: jene des Rituals und der gemeinsamen Erfahrung von Zuschauer und Künstler.
Zuletzt zeigte Ponifasio mit »Birds With Skymirrors« eine Reflexion über den zerstörerischen Klimawandel auch am Beispiel der vom Verschwinden bedrohten Kiribath Inseln, von denen einige seiner Tänzer stammen. Die letzten beiden Arbeiten stehen einander in Radikalität und Gegensätzlichkeit gegenüber wie Tag und Nacht: »Stones In Her Mouth«, eine durch furchtloses Selbstverständnis brillierende Performance mit jungen Maori-Frauen, und »The CRIMSON HOUSE«, eine eiskaltklare Licht-Raum und Tanz-Installation, die die Ursachen der Überwachungsgesellschaft auch in der alttestamentarischen Vertreibung aus dem Paradies sucht.
2012 hatte Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels Ponifasio mit seiner ersten Opernregie zu Carl Orffs gewaltigem »Prometheus« in der Duisburger Kraftzentrale betraut, deren Erfolg zudem mit dem Carl Orff-Preis ausgewiesen wurde. Nun folgt eine Kreation Ponifasios als Auftragswerk, das bis 2018 eine Reise durch Städte und Festivals antreten wird: »I AM«. Ponifasio erarbeitet anlässlich des Memorials zum Ersten Weltkrieg ein Projekt mit seiner Company, dem Tanzensemble aus Neuseeland, Samoa, Kiribath, sowie der transsexuellen Performerin Nina Arsenault und Mitwirkenden aus der Region, das auch Fragen nach Zugehörigkeit und Identität in den Metropolen und Städten und auf den Trümmerfeldern der Geschichte stellt. Ein Thema, das Ponifasio bereits 2011 mit »Le Savali: Berlin« beschäftigte. Le Savali ist ein samoanischer Ausdruck für eine gemeinsame Reise, vielstimmige Botschaft und Vorwärtsbewegung, um physische Präsenz zu zeigen. Schlicht ein gemeinsames Anliegen.
So kündigt sich auch »I AM« an als etwas, das »aus der Dunkelheit des menschlichen Zweifels in eine Zugehörigkeit führt, in der die Toten mit den Lebenden kommunizieren«. Lemi Ponifasio: »Städte sind als Denkmäler und in Monumentalität errichtet, als Spuren, die aus dem Ewigen ins Vergängliche führen. Die imperialen Städte, gegründet auf den Kadavern der Sieger, haben ihre Bestimmung als Ruinen der Zeit. Sie sind das Massengrab der Eroberten auf dem Siegeszug der Kultur.«
Chöre und Sprechgesänge aus den traditionellen Begrüßungs- und Abschiedszeremonien der Kultur der Maori, aus Samoa und Kiribati werden in metaphorischen Bilderwelten evoziert; filmische Momente zitieren »Victory Over Death 2«, ein Werk des neuseeländischen Malers Colin McCahon ebenso wie historische Aufnahmen damaliger Kriegsschauplätze, an denen Soldaten aus Neuseeland und den Pazifischen Inseln ihr Leben verloren. Heiner Müllers »Hamletmaschine« und Antonin Artauds »Schluß mit dem Gottesgericht« sind weitere Quellen für »I AM«.
2010 inszenierte Lemi Ponifasio für die Berliner Festspiele ein durchaus kontrovers aufgenommenes »MAU Forum«, eine theatralische Zeremonie aus Festessen, Tanz und Diskursen in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg inmitten einer traumschönen Sommernacht. Von der Kritik ob »seiner unerträglichen Schönheit« verrissen, erlebten Besucher ein besonderes Ereignis, auch im Sinne der Versöhnung mit der Geschichte der Völkerschauen, darunter Menschen von den Pazifik-Inseln, im Berliner Zoo zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Peter Sellars, ein Bewunderer von Ponifasio, gab dabei den Zeremonienmeister; Olafur Eliasson und viele Künstler und Schriftsteller waren als Redner geladen. Dimiter Gotscheff gab als Antwort auf Ponifasios Ritual zu Protokoll, nun einen Satz von Heiner Müller besser zu verstehen: »Wenn die Diskotheken verlassen und die Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört werden, das der Grund seiner Sprache ist«. Es ist dies eine Passage aus dem berühmten Brief, den Müller an Gotscheff anlässlich dessen legendärer »Philoktet«-Aufführung in Sofia 1983 geschrieben hatte.
Das Schweigen des Theaters birst bei Ponifasio manchmal mit der zerstörerischen Kraft einer Detonation im Bewusstsein des Betrachters und verstört zugleich mit puristischer Schönheit. Seine zeremoniellen Theaterwelten vereinen sich im Zustand einer würdevoll verlangsamten Gegenwärtigkeit; sie transzendieren Theater, Tanz, Ritual und gesellschaftliches Anliegen. Theater kann immer noch ein Ort sein, an dem menschliches Dasein und Menschlichkeit zelebriert wird. Und an dem das Schweigen des Theaters gehört wird.
Die Autorin war von 2006 bis 2012 Künstlerische Leiterin der Theater- und Tanzsaison Spielzeit Europa der Berliner Festspiele; im Alexander Verlag erschien 2012 das Buch zu »Le Savali: Berlin«; seit 2013 leitet Brigitte Fürle das Festspielhaus St. Pölten in Niederösterreich, wo die Europa-Premiere von Ponifasios »The CRIMSON HOUSE« stattfand.
»I AM« 28. bis 31. August 2014, Jahrhunderthalle Bochum. www.ruhrtriennale.de