Leander Haußmann ist wieder »Unterwegs« – zurück zu einer DDR, die es nie gegeben hat. Vielleicht legt sich darum eine gewisse Blässe und grünlich diesige Unschärfe über die Bilder, die teils aus dem dokumentarischen Archiv der achtziger Jahre Ost stammen. Was aber wohl nicht symbolisch zu verstehen ist, da der Regisseur mit der Geschichte selbst auch unscharf umgeht. Mit Komödienfiguren lässt sich kein Staat machen. Vielleicht dachte Haußmann dabei an Shaw (»Helden«) und Hašek (»Schwejk«).
Seine Trilogie, begonnen mit der tatsächlich anarchisch krawalligen Rock’n’Roll- und Pop-»Sonnenallee« und sich fortsetzend mit dem spießgeselligen Film »NVA«, findet ihr Ende in »Leander Haußmanns Stasikomödie«. Über den Titel wundert man sich, weil er sich den Namen des Filmemachers einverleibt. Weshalb? Weil es sein ganz und gar subjektiver Blick ist? Was denn sonst! Weil sein Name die Leute ins Kino ziehen soll? Oder wird eine autobiographische Direktverbindung suggeriert – gibt es persönliche oder familiäre Opfer-Traumata des Sohnes einer Theaterfamilie, der 30 war, als die Mauer zerfiel? Aber sähe der Film dann aus, als liefe er nach dem Schema ‚Väter der Klamotte’ ab? Andererseits, gewiss stinkt Haußmann ein Melodram wie »Das Leben der Anderen« – gegen dieses feine Geruchsempfinden würde sich auch nichts einwenden lassen.
Vor dem speckigen Begriff Ostalgie scheut man zurück, weil Haußmann, der nach der Wende im Westen gefeierte Theaterregisseur, Liebling von München bis Bochum, wo er 1995 Schauspiel-Intendant wurde und dabei mindestens so cool wie Peter Zadek auftrat, durchaus gemischte Gefühle für das zweite Deutschland hat. Trotz ist dabei (»und trotzdem scheint die Sonne«) und Spott, der auch ein Teil – sympathischer – Selbstverspottung sein mag. Womöglich betrifft sie die eigene Unangepasstheit, wie die sich damals drüben im oppositionellen Milieu der intellektuellen Bohème eingeigelt hatte und von der Andreas Kleinerts »Lieber Thomas« Brasch – anders – erzählt. Jedenfalls meint »Unterwegs«, nirgends so recht anzukommen. Vermutlich ist Leander Haußmann am ehesten in einer Theaterkantine zuhause.
Gehorsam! Denkste!
»Unterwegs« heißt auch das Buch von Jack Kerouac, in dem Ludger Fuchs an einer roten Ampel mit dem Fußgängermännchen versonnen liest und stehen bleibt, statt dem natürlichen Impuls zu folgen, da die Straße frei von Verkehr ist, einfach auf die andere Seite hinüberzuwechseln. Gehorsam! So ein Untertan wird folglich auch nicht rüber machen. Denkste! Ludger ist eher ein Tagträumer, der anderes im Kopf hat als den Kampf gegen den Klassenfeind. Das ist ein Mann für uns, vermutet der Staatssicherheitsdienst, der die Ampelkreuzung am Leninplatz überwacht. Ludger wird aufgenommen in die Familie von Erich Mielke. Urgestein Bernd Stegemann als sonnenköniglicher Minister ist nicht der einzige, der chargiert, dass die Wände der Plattenbauten wackeln (was so schwer wiederum nicht ist). Henry Hübchen als Ludgers Verbindungsoffizier Siemens läuft ihm den Rang ab – mit allen Schikanen von jovialer Tücke.
Dass die grünuniformierten Dunkelmänner in ihren hell getäfelten Bürostuben fast alle scheußliche, einfältig hängende Schnurrbärte tragen, als wären sie angeklebt, und dass sie wie in den westdeutschen »Pauker«-Filmen der frühen siebziger Jahre solche Trottel und schwer von Begriff sind, dass sie nicht einmal den Amtsschimmel hätten reiten können, ist noch kein Akt entlarvenden Witzes und subversiven Humors. Ihr Biedersinn verträgt sich weder mit der Wirklichkeit des Systems Stasi und seinen Pressionen noch mit dem Anspruch auf das Genre Komödie und seine Ver- und Enthüllungskünste. Leander Haußmann hätte sich beim Drehbuch-Schreiben öfter fragen sollen: »How would Lubitsch do it?«
Ein Zeitsprung wechselt zur Gegenwart. Prenzlauer Berg: Der Ludger von einst (David Kross) ist Schriftsteller (Jörg Schüttauf) und war ein Verfemter und Widerständler im SED-Staat, wenn auch ein IM. Als Spitzel schützt er seine Schnüffeleien über die »Künstlerszene« (Operation »LSD«) dadurch vor Entdeckung, dass seine Kollegen und Bewunderer aus der Subkultur in den Notizen reine Poesie vermuten. Na dann, »Gute Nacht, Freunde«. Der Gleichklang Berichte – Gedichte lehnt sich dem ‚Fall’ Sascha Anderson an. Von seiner Akte aus der vom Volk gestürmten Stasi-Zentrale erwartet er keine grundstürzenden Einsichten: Eine solche erhält vielmehr seine Frau, die in einem abgelegten Brief Stoff für ein Eifersuchtsdrama entdeckt. Ludger macht sich dünne und steht wieder mal an einer roten Ampel.
Dass das Private immer auch politisch ist (und hier Corinna und Natalie heißt) und Liebe die stärkste Sprengkraft besitzt, geschenkt. Oder nicht ganz. Nehmen wir einen sechzig Jahre älteren Berlin-Film, der so giftig war, dass Billy Wilder den Bitterstoff in Coca Cola-Flaschen abfüllte. Auch da ist es eine Romanze, die an ideologischen Fundamenten rüttelt. Aber so fix, frech und »Ein, zwei, drei« funktioniert der »Stasi-Film« nicht, eher schon tickt er »sieben, acht, neun – zero«.
»Leander Haußmanns Stasikomödie«, D 2022, 115 Min., Start: 19. Mai