TEXT: ANDREAS WILINK
Über Rom geht die Sonne auf, nach einer langen wilden bunten Partynacht. Aber es ist doch nur eine leuchtend rote Martini-Reklame über einer Terrasse. Es gibt eine zwergwüchsige Verlegerin, geile Alte und aufgeputzte Jugend sowie umgekehrt, angeberische Schauspieler, frustrierte Intellektuelle und ihre Lebenslügen, sinistre Politiker, den Klerus, Kloster-Elevinnen und andere Früchtchen, nackte Body-Performances, öffentlich veranstaltete kosmetische Einspritzungen gegen Falten und Fett, Nutten am Tiber und auch jenen berühmten Brunnen. Und es gibt den melancholisch misanthropischen Blick eines alternden Schriftstellers, Jep Gambardella, der vielleicht im Tiefsten seines Herzens ein duldsamer Menschenfreund ist. Gambardella, Journalist und Romancier, der nach seinem Debüt »Apparat Mensch« nichts Wesentliches mehr zu Papier brachte, hat alles schon gesehen; weil er alles versteht, verzeiht er alles.
Toni Servillo spielt ihn so, dass er etwas mehr Gregor von Rezzori gleicht, als Marcello Mastroianni, dessenWiedergänger in der Rolle des Rubini in »La dolce Vita« er natürlich sein soll. Jedenfalls denkt man dieses Rom-Panorama von 1960 mit, auch wenn Paolo Sorrentino (gefeiert für sein Andreotti-Porträt »Il Divo«) leider meistens mehr an Roberto Benigni, als an Federico Fellini erinnert. Für seine Satire ist sein viel zu langer Film nicht ernst genug. Wir sehen irre schöne Einstellungen und hören herrlich alten Chorgesang in Deutsch und Englisch. Die ewige Stadt, die hier noch morbider wirkt, als es sonst allein Venedig zukommt, ist ein Ort für Chinesen und Scheichs aus den Emiraten geworden und ein Memorial vergangener, nunmehr schaler Lüste. In einigen kurzen Momenten, wenn auf Gambardellas Dachgarten am Kolosseum die Masken fallen und die Freunde sich in charmanter Liebenswürdigkeit die Wahrheit sagen, mag man an Moravias & Godards »Verachtung« denken. Aber »Le Mépris« war schweigsamer, »La Grande Bellezza« ist eitel und schwatzhaft.
»La Grande Bellezza«; Regie: Paolo Sorrentino; Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso, Isabella Ferrari; Italien 2013, 142 Min.; Start: 25. Juli 2013.