Das Haus, »The Dakota« am Central Park West, gebaut in der Goldenen Ära von New York im Stil der französischen Renaissance mit Zinnen und Erkern, kennt viele Geschichten. Die zwei berühmtesten betreffen John Lennon und Roman Polanski. Der Beatle wird 1980 vor dem Eingang auf dem Weg in sein Apartment erschossen. 13 (!) Jahre zuvor lässt Roman Polanski seine Teufelsverschreibung »Rosemary’s Baby« dort spielen – original sind nur die Außenaufnahmen, die Innenräume im Studio nachgebaut. Ein Ort des Grauens, dessen physisches Gehäuse einen Sog auf Menschen ausübt und sie ans Pathologische bindet, so ist es schon bei Edgar Allan Poe im »Untergang des Hauses Usher« vorgezeichnet, dem Ahnherrn von Spuk und Horror.
Der 1933 geborene Holocaust-Überlebende Polanski macht als Ghetto-Kind im Angesicht des Todes die Erfahrung, dass Leben ein höchst gefährdetes, von keinerlei Sicherheit gehaltenes Gut ist. Im Polen der 50er Jahre dreht er Kurzfilme und in den 60er Jahren europäische Filme wie »Ekel« und die Komödie »Tanz der Vampire«. Paramount bietet ihm den Stoff nach dem Roman von Ira Levin an: »Rosemary’s Baby« ist seine erste in den USA realisierte Produktion, aber nicht sein erster Horrorfilm. Auch »Ekel« mit der jungen Catherine Deneuve gehört peripher diesem Genre an: das aus Kenntnis des Surrealismus meisterlich inszenierte Psychogramm einer introvertierten, in ihrer eigenen Welt lebenden, von ihren Halluzinationen in Gefangenschaft genommenen Maniküre, die eine Phobie vor Männern entwickelt und zur Mörderin wird. Wobei offen bleibt, ob Carole traumatisiert wurde oder die Natur sein böses Spiel mit dem Mädchen getrieben hat.
Polanski ist vertraut mit dem absurden Theater und mit Kafka, den er als Autor des Grotesken liest und damit in eine polnische Literaturtradition stellt. Das Phobische, die Auswirkung von Isolation, die beklemmende Zerstörung des Unbeschädigten, Risse in der Seele, das Verhängnis Schuld und das Monströse der Sexualität bestimmen sein filmisches Werk und seinen schwarz geränderten Blick auf die Welt.
Mysteriöse Todesfälle
Von Carole zu Rosemary liegt nur ein Schritt. Aber hier wird das Wahnhafte und Besessene inmitten der Moderne Manhattans dingfest gemacht. Das Ehepaar Guy (John Cassavetes) und Rosemary Woodhouse (Mia Farrow, die eine grandiose Studie des Instabilen an der Borderline zum Schizoiden zeigt) mietet eine Wohnung in der siebten (!) Etage des im Film Bramford House genannten Gebäudes. Bald finden sie Kontakt zu dem älteren Ehepaar Roman und Minnie Castevet (Sidney Blackmer, Ruth Gordon), das nach anfänglichem Widerstreben Rosemarys zunehmend Einfluss auf sie ausübt und sie aus bisherigen Bindungen löst, zumal mysteriöse Todes- und Unglücksfälle dies forcieren.
Guy, ein Schauspieler, hat keine Vorbehalte den Castevets gegenüber, im Gegenteil. Nachdem Rosemary schwanger wird (ihr monströser Traum einer diabolischen Vergewaltigung unter Michelangelos Fresken der Sixtina hält die Schwebe von Fantasie und realem Geschehen), gerät sie vollends in die Abhängigkeit und in den okkulten Bann des Castevet-Zirkels, seiner Heilmethoden und Kräuterkuren. Das Misstrauen der Katholikin wächst und lässt sie fürchten, es mit Hexerei und Satanisten zu tun zu haben. Zunächst soll sie glauben, ihr Kind sei bei der Geburt gestorben. Aber es lebt. Adrian wird von dem Castevet-Kreis als teuflisches Idol verehrt, der Gott entthront habe. Aber stärker als Rosemarys Abscheu ist der Mutterinstinkt für ihren Sohn. Die Suggestion des Films ist nach mehr als 50 Jahren unvermindert.
Die Wirkkraft des »Touch of Evil«, um es mit dem Filmtitel von Orson Welles zu sagen, setzt sich fort und fort. Ein Jahr nach der Premiere des Films werden Polanskis Ehefrau Sharon Tate und vier weitere Frauen und Männer von Charles Mansons irrer Hippie-Family ermordet. Der Regisseur selbst, Oscar- und Cannes-Preisträger, gerät durch Anschuldigungen und Anklagen wegen sexueller Gewalt ins Zwielicht einer beunruhigend unheimlichen Opfer-Täter-Relation. Den »Geschmack von Angst«, wie Macbeth sagt, dessen Drama er verfilmt hat, wird er nicht verlieren.