In seiner literarischen Dokufiktion über »Die Staatsräte« lässt Helmut Lethen neben Wilhelm Furtwängler, Ferdinand Sauerbruch und Carl Schmitt als vierten Gustaf Gründgens Gestalt annehmen und bringt die unter dem Hakenkreuz ruhmvollen Herren miteinander ins Gespräch. Gründgens brilliert mit eines Oscar Wilde würdigen Paradoxien, ganz der alerte Spiegelfechter. So etwa: »Nichts setzt den Menschen mehr herab, als wenn er sehen lässt, dass er ein Mensch ist.« Oder: Er gehöre »zu jener Sorte Mensch, die allen Glauben verloren hat – außer vielleicht den Glauben an das Unechte«. Mit diesen Sentenzen dringen wir vor in die Herzgegend von GG’s fiktivem Abbild Hendrik Höfgen, dem »Mephisto«.
Vielleicht ist es ein Missverständnis, Klaus Manns bekanntestes Buch, »Mephisto – Roman einer Karriere«, als satirisch-kritische Analyse und vorrangig politisch zu lesen, publiziert 1936 im Exil und geschrieben mit Zorn, Verzweiflung, Trauer und Hass. Vielleicht ist das Psychoporträt des Hendrik Höfgen, der zum Affen der Macht des dicken Reichsmarschalls wird und den Pakt mit dem Teufel eingeht, tiefer betrachtet das Dokument enttäuschter Liebe, Eifersucht und Kränkung.
Bis in die späten siebziger Jahre war »Mephisto« in der Bundesrepublik ein Fall für die Justiz – Gründgens und sein Erbe hatten das Verbot erreicht – und nur im Raubdruck erhältlich (der Autor dieses Textes besitzt noch ein solches Exemplar), bevor der Rowohlt Verlag ihn 1980 herausbrachte. Klaus Mann wurde wiederentdeckt, Ariane Mnouchkine inszenierte in ihrer Pariser Cartoucherie die längst legendäre, von Brecht beeinflusste Theaterfassung; im Jahr darauf entstand die internationale Koproduktion, die 1982 den Oscar als bester ausländischer Film erhielt: ein Welterfolg für Regisseur István Szabó und mehr noch für Klaus Maria Brandauer.
Der 1938 in Budapest geborene Szabó begann sein Studium an der Filmhochschule 1956, dem Jahr des Ungarischen Aufstands. Seine psychologisch klugen Filme sind getragen von Melancholie und feiner Ironie angesichts einer von Ideologien und ihren Zwangssystemen dominierten Wirklichkeit. Sie erzählen von Menschen in ihrem Unwohlsein in der Welt, wie sie ist, ihrer Sinnsuche und von der Entzauberung des Heldischen. Themen, die »Mephisto« (und in Folge »Oberst Redl« und »Hanussen«, beide ebenfalls mit Brandauer) variiert und zur Untersuchung moralischen Verhaltens und der Verantwortung des Einzelnen, des Künstlers bzw. der Künstlernatur, scharf stellt. 20 Jahre später nimmt Szabó die Frage nach der Macht und ihrem Preis nochmals auf, indem er mit »Taking Sides« einen Film über den Dirigenten Furtwängler dreht.
Im »Mephisto« treffen wir Höfgen zunächst als Star an einer Hamburger Bühne. Er kokettiert mit linker Gesinnung, will partout den Erfolg, schafft es durch Protektion und Talent nach Berlin, wird populär, heiratet die großbürgerliche Barbara Bruckner (so wie GG Erika Mann, Tochter von Thomas und Katia und Schwester von Klaus Mann), trennt sich von ihr, unterhält eine sadomasochistische Beziehung zu einer schwarzen Tänzerin, die er ohne Skrupel auf Druck hin beendet, dient sich den Nazis an, vor denen er für eine kurze Weile glaubt, flüchten zu müssen, um dann zum umworbenen Repräsentanten der Theaterkultur im Dritten Reich zu werden und mit Goethes Mephistopheles das Prinzip schillernder Indifferenz zu verkörpern – nervös, aasig, zynisch.
Szabó spielt das Filmfinale im Berliner Olympiastadion aus, auf dessen leerem Feld ein Scheinwerfer Höfgen erfasst: einsamer Solist im Bannkreis des Bösen. Vermutlich hat Szabó sich mehr für den Phänotyp des Karrieristen und Opportunisten interessiert, der schuldig wird und beinahe erschrocken fragt: »Was wollen die Menschen von mir? Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler.« Und weniger für die Persönlichkeit Gründgens’, die Klaus Mann so bitter im Sinn hatte.