Dies ist auch ein Weihnachtsfilm: beginnend am Heiligen Abend im frühen 20. Jahrhundert in einer schwedischen Stadt – vielleicht Uppsala. Wir sind Zaungäste der Ekdahls, einer Theaterdynastie, und ihrer wundervollen Familienfeier, mit Krippenspiel im Theater, geschmückten Tannenbäumen, Bescherung, Festmahl, traditionellen Ritualen und dem frühmorgendlichen Kirchgang. Der Film endet mit der Geburt bzw. Taufe zweier neugeborener Kinder. Eine Verheißung. »Fanny und Alexander« von 1982 ist aber auch Teufelsaustreibung, Kunstmärchen und ein jüdisch-kabbalistisches Geheimnis, Erzählung vom Erwachsenwerden und Geisterbeschwörung. Ein Film über Gott und die Welt, von Ingmar Bergman mit epischer Gelassenheit und geistiger Abgeklärtheit inszeniert und parallel als »Roman in sieben Bildern« veröffentlicht.
Alexander (Bertil Guve) lernen wir kennen, als er mit seinem Christgeschenk, einer Laterna Magica (»Laterna Magica« ist auch der Titel von Bergmans Autobiografie), fantastische Bilder projiziert. Er und Fanny (Pernilla Alwin) sind die Kinder von Oscar, dem Theaterdirektor, der während der Probe als Geist von Hamlets Vater zusammenbricht und bald darauf stirbt, und seiner jungen Frau, der Schauspielerin Emilie (Ewa Fröling). Die sucht Trost bei Bischof Vergérus (Jan Malmsjö), heiratet ihn und zieht mit beiden Kindern zu ihm, dem Moralapostel, und seiner bösen Mutter und Schwester.
Was für ein Wechsel: aus der Fülle in den Mangel. Der Bischofssitz gleicht einem grimmig strengen, kargen und kalten Arbeitshaus, während das Refugium der Matriarchin Helena Ekdahl (Gunn Wallgren) wohlig warm und üppig ist, mit adretten Dienstmädchen, lebensfrohen und geistvollen Menschen wie dem sinnenfreudigen Gustav Adolf Ekdahl (Jarl Kulle) und seiner weltklugen Frau Alma (Mona Malm), aber auch seinem Bruder, dem trunksüchtigen Professor Carl, der im Selbstekel verbittert. Er und seine Frau Lydia sind ein in Hassliebe vereintes Ehepaar, wie Bergmans reiches Filmwerk es oft zeichnet.
Mehr als eine Familienchronik
Es gibt noch eine dritte Welt: die des jüdischen Isak Jacobi (Erland Josephson) und seiner Neffen Aron und Ismael. Sie bewohnen einen verzweigten Trödel- und Antiquitätenladen, wo eine Marionette des zornigen Jahwe donnernd grollt und in einem abgelegenen Kabinett der mit magischen Kräften ausgestattete, zwischen den Geschlechtern changierende Ismael (Stina Ekblad) abgeschlossen lebt.
Bergman entfaltet weit mehr als eine Familienchronik, mit Alexander im Zentrum, dem Jungen, der er vielleicht selbst in einem protestantischen Pfarrhaus gewesen ist und dort seinen Dämonen begegnete, die ihn sein langes Leben von 1918 bis 2007 begleiten sollten. »Fanny und Alexander« sind Bergmans »Buddenbrooks«, aber als Vermächtnis.
Alexander befindet sich auf der Schwelle von Gut und Böse, Unschuld und Schuld, Traum und Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit, Freiheit und Gebunden-Sein. Er wird nie von allen guten Geistern verlassen sein, die sein toter Vater Oscar repräsentiert, aber ihn lassen auch nie die Gespenster los, die sein Stiefvater Vergérus verkörpert, dessen Tod er sich herbeigewünscht hat und der sich schaurig in einer Feuersbrunst erfüllt. Wir ahnen, dass Alexander Künstler wird, vielmehr, dass er es schon ist. Dass er all seine Licht- und Schattengestalten zum Leben erwecken wird, ob auf der Leinwand, ob auf Papier. »Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich. Zeit und Raum existieren nicht.« So schreibt August Strindberg in seinem »Traumspiel«, das am Ende, wenn Emilie mit den Kindern zur mütterlichen Helena heimgekehrt ist, die beiden Frauen gemeinsam lesen, um es auf der Bühne aufzuführen.