Es war einmal… Märchen beginnen so, auch schlimme, glücklose. »Once Upon a Time in the West« heißt Sergio Leones Western aller Western auf Englisch, in dem Charles Bronson für Henry Fonda auf der Mundharmonika das Lied vom Tod spielt und Claudia Cardinale in der Kutsche – ebenfalls zur Filmmusik von Ennio Morricone – über die blühende Prärie fährt, um an ihrem Ziel an den ermordeten Leichen ihrer neuen Familie entlang zu gehen. 16 Jahre später dreht der Römer Leone einen weiteren Film, der nicht die dunkle Strahlkraft des Vorläufers gewann. Zu Unrecht. Mit »Once Upon a Time in America« erreicht Leone den Gipfel seiner Kunst. Nach dem Western führt er darin das zweite uramerikanische Genre zum Höhe- und Endpunkt: den Gangsterfilm und wendet sich geografisch von West nach Ost: nach Brooklyn, New York City. Die Motive, die zu den Gründungsmythen Amerikas gehören, bleiben sich gleich: Pioniergeist, der sich den Weg freischießt, Lebenskampf, Aufstieg und Fall, Verrat von Freundschaft und Liebe, der Preis, den der Erfolg kostet, der Sieg, der zuletzt Niederlage ist.
Dass ein Italiener diese unfromme Legende erzählt, hat symbolischen Charakter, verkörpert doch die vor allem sizilianische Mafia, der Mario Puzo & Francis Ford Coppola in »The Godfather / Der Pate« 1972 das Denkmal setzen, den skrupellos brutalen, flamboyanten oder patriarchalischen Gangster-Typus. Bei Leone ist die Viererbande um ‚Noodles’ Aaronson (Robert De Niro) und Max Bercowicz (James Woods) jüdisch verwurzelt und ihrer beider Geliebte bzw. Ehefrau Deborah (Elizabeth McGovern) eine fragile Schönheit wie aus dem biblischen Hohelied Salomos.
Zunächst erleben wir die Jugend der Bande, wie sie sich auf der Straße fit machen, ihre Instinkte schärfen, Gelegenheiten ausbaldowern und das Business lernen. Brillant zeigt Leone, wie die Charaktere sich ausbilden – der gerissene, charismatische Max, der treuherzige, schüchterne, verlässliche ‚Noodles’ –, wozu das erstaunliche, nahezu geniale Casting der jungen Rollenfiguren im Vergleich zu den erwachsenen Star-Darstellern viel beiträgt. Ein Schusswechsel vor der stählernen Kulisse der Brooklyn-Bridge beendet radikal ihre Kindheit in der sozialen Grauzone, die immer auch Flucht aus der Einsamkeit sein will und immer auch Weg ohne Rückkehr in die Einsamkeit ist.
Leones episches Drama teilt sich in drei große Kapitel: Auf die frühe Reife des Quartetts schließt sich reiche Ernte an, die die Gang mit Alkohol, Prostitution, Erpressung und anderen Schandtaten einfährt und sie auch in ihrer sexuellen Potenz präsentiert. Die Zäsur bildet ein Massaker, das der opiumumnebelte ‚Noodles’ scheinbar als einziger der Gefährten überlebt. Es folgt der zeitlich versetzte, späte Epilog.
»Once Upon a Time in America«, ist eine bildmächtige Elegie, ein in Blut getauchtes Requiem. ‚Noodles’ und Max sind in ihrer abgründigen wechselseitigen Beziehung und Bindung wie Doppelgänger von Alfred Döblins Franz Biberkopf und seinem Dämon Reinhold in »Berlin Alexanderplatz«, bis hin zu ihrem Verhältnis zu Deborah (bei Döblin: Mieze), die ihre Leidenschaft als Schauspielerin wie das komplizierte Solo ihrer Seele aufführt. Der grau gewordene ‚Noodles’, dem Robert De Niro, der zehn Jahre zuvor in »Der Pate II« den jungen Vito Corleone gespielt hatte, gerade erst 40-jährig beeindruckend die Melancholie des Vergeblichen beigibt, beobachtet am Ende einen seine Ladung zermahlenden Müllwagen. Er schafft die Reste eines Lebens fort.