Pommerland ist abgebrannt und manches mehr erloschen. Bilder aus einem zerrissenen, gevierteilten Land: Berlin im Sommer 1948, die Stadt der Sektoren, des Schwarzmarkts, der Luftbrücke mit dem Lärm der ‚Rosinenbomber’ und dem Feuerbrand abgestürzter Maschinen, der konkurrierenden Systeme und Werte, während auf der Tonspur Ernst Reuter eine flammende Rede an die »Völker der Welt« hält, der zwei Währungen, der Neuanfänge und der Wiederholung einer unvergangenen Vergangenheit.
»Engel aus Eisen« ist ein Film, der Augenblicke sammelt, ein Film der Stillleben und Verzweiflungs-Momente. Ein Film der Anläufe, wie ein Gedichtanfang und noch einer und ein dritter und weiterer. Ein Film von der sachlichen Härte eines Gottfried-Benn-Gedichts – oder eben einer lyrischen Zeile von Thomas Brasch (hier unsere Kritik zum aktuellen Filmporträt über ihn), der diesen Film 1980, nach seinem Wechsel von der DDR in die BRD, drehte. Und selbst einen kurzen Auftritt hat als blinder Leierkastenmann, in dessen Brillengläsern sich zwei Männer spiegeln.
Gustav Völpel war Scharfrichter, Henker im Namen des Staates, auch des NS-Unrechtsstaates. Nun, im Berlin der fortgeschrittenen Stunde Null, ist er bei der Polizei untergekommen, wird schief angesehen und herabgestuft. Er kundschaftet zwei Handvoll junger Leute aus und wird ihr Komplize: Sie bilden die (historisch verbriefte) Gladow-Bande, die sich das Chaos der offenen Stadt für ihre Raubzüge, Überfälle und ganz großen Dinger zu Nutze macht. Darin ähnlich dem Wien in Carol Reeds, Graham Greenes und Orson Welles’ »Der dritte Mann«, situiert in eben derselben Zeit und ihrem Geruch des Verrats und Sterbens.
Vor allem ist es ein Film der Gesichter: Karin Baal eines davon, die in den 50er Jahren die in Erfüllung gegangene junge Hoffnung des westdeutschen Films war und nun mit der Miene einer Gerhart-Hauptmann-Figur spielt. Ein zweites Gesicht das von Katharina Thalbach, der frechen, erotisch offensiven Heiligen Johanna der DDR-Bühne, einer deutsch-deutschen Jean Seberg. Und das dritte oder erste, je nachdem, das von Hilmar Thate.
Nach »Engel aus Eisen« wird Thate in Fassbinders vorletztem und ebenfalls schwarz-weißem Film »Die Sehnsucht der Veronika Voss« einen Sportjournalisten spielen, mit dem gleichen stoischen Ernst, der gleichen Skepsis, Müdigkeit und wissenden Traurigkeit im Blick. Fassbinder kannte kein Hüben und Drüben, Gestern und Heute, Gut oder Böse – das Menschliche macht diese Unterscheidung nicht. Thomas Brasch und RWF waren sich darin ähnlich.
»Engel aus Eisen« ist auch ein Film der Schatten. Die Schatten, die aus dem sowjetischen Kino der Frühzeit – in einer Szene sitzen wir mit der Gladow-Bande im Lichtspieltheater, wo Eisensteins »Iwan, der Schreckliche« läuft – und dem Kino der Weimarer Republik in ihn hinein ragen: das der dämonischen Leinwand von Fritz Lang, der in »M – eine Stadt sucht einen Mörder« zeigt, dass die Syndikats-Verbrecher und der Beamtenapparat der Polizei nicht mehr als eine Schnitt-Sekunde voneinander entfernt sind – auch in moralischer Hinsicht.
Und noch etwas. »Engel aus Eisen« führt wehmütig vor Augen, wie aufregend, produktiv und in wechselseitigem Austausch Filmemacher und Theatermacher damals um 1980 standen: Schauspieler wie Hanns Zischler, der bei Wenders spielte, Klaus Pohl, der mit Zadek arbeitete, Kurt Raab, der zur Fassbinder-Familie gehörte. Und der hochbegabte Ullrich Wesselmann als Werner Gladow, der hier als 20-Jähriger die Unschuld des Raubtiers verkörpert und wie eine offene Wunde spielt. Bald dann auch auf der Bühne für Breth, Gosch, Karge und Langhoff, bevor er sich mit 33 Jahren umbringen wird: »Engel aus Eisen«, auch er.