Auf einem Gruppenbild deutscher Filmemacher aus den 70er Jahren, fotografiert von Digne Meller Marcovicz, unter anderem mit Hark Bohm, Fassbinder, Kluge, Schroeter und Wenders, steht er ganz außen: Hans-Jürgen Syberberg, geboren 1935. Er gehörte nie ganz dazu. Ein Wesens-Aristokrat. Auch wenn sein Thema wie das vieler seiner Kolleg*innen das Heimatland blieb, die deutsche Misere, die Wunde Deutschland. Aber anders. Mehr romantisch, mythisch und mystisch als gegenwärtig und geschichtlich. Auf Erlösung aus. Das Irrationale exzessiv und obsessiv bekämpfend mit den ästhetischen Mitteln des Irrationalen, insbesondere dem Zaubermittel Musik. Und monumental, auch in der Länge.
Syberberg, der unter anderem eine vielstündige, erhellende und bestürzende Interview-Dokumentation über Bayreuths Herrscherin-Witwe Winifred Wagner sowie den Gesamtkunstwerksfilm »Parsifal« gedreht hat, nähert sich in seiner deutschen Trilogie drei Figuren: Karl May, Ludwig II. von Bayern, Adolf Hitler. Eine fallende Linie zwar, aber eine Linie. Zwei Träumer, Pazifisten, Edelmenschen, bedroht von der eigenen fantastisch wuchernden Übertreibungskunst, und der Gegen-Charakter, der Böse schlechthin, der seine wilden und wirren Träume ins Vernichtungswerk setzt.
Der Karl-May-Zweiteiler, ein herrliches, oft rührend betuliches, tief wehmütiges Kulissentheater mit Darstellern der Ufa-Zeit – Helmut Käutner, Käte Gold und Kristina Söderbaum, hat ein Sehnsuchtsziel: von Sachsen in die imaginierte Ferne. Dem Erfinder von Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi und Winnetou Betrug und unsittliches Verhalten zu unterstellen, so wie Ludwig II. Verschwendung und Verrücktheit vorgeworfen wurde, brachten nur kleingläubige und großspurige Krämer- und Beamten-Seelen fertig. Karl May, der Abenteurer der Seele, ist bei Syberberg auf dem Weg ins Geistige und nur äußerlich zuhause im wilhelminischen Wigwam. Mit Gustav Mahler wird er grandios zu Grabe getragen.
Durch das ironisch-pathetische Adagio für den aus dem Romantischen heraus fühlenden und denkenden, die Reichsidee, das gemein Ökonomische und Nützliche verachtenden Nachtmenschen Ludwig (Harry Baer – kaum weniger schön als Helmut Berger bei Visconti) ziehen Wagners Klänge. Syberberg leuchtet wiederum den Weltinnenraum des einsamen Königs aus und stellt ihn in Bühnendekorationen mit lebenden Bildern, bis er ihn unter die Guillotine legt und in Lederhosen wiederauferstehen lässt: Götterdämmerung als Anbruch eines neuen Morgens.
»Hitler, ein Film aus Deutschland« macht dem Mann aus Braunau (Heinz Schubert) in 420 Minuten den Prozess, der gleichzeitig der Prozess des Filmemachens selbst, seine Konstruktion und Dekonstruktion ist, und ruft dafür die gesamte Kulturgeschichte auf: vom Gral und den Nibelungen über Beethoven, Heine, Goethe und der Eiche von Buchenwald bis Lili Marleen. Ein Grand Guignol von Puppen und Menschen, Chapliniade, Brettl-Revue, Kitschparade, Wintermärchen, Totenfeier und Endlos-Monolog (Tagesberichte von Hitlers Kammerdiener, gespielt von Hellmut Lange). Diese apokalyptische Allegorie ist wieder eine reine Studioproduktion, die Techniken der Collage, Montage und Assoziation virtuos benutzt – visuell, in textlichen Zitaten und auf der Tonspur. Es ist das Horrorstück unserer Mentalitätsgeschichte, das seinesgleichen sucht in seiner beunruhigenden Faszination. In den USA stimmte Susan Sontag 1980 das Loblied an, in Frankreich meinte ein Kritiker, dies sei der »Faust III«. Jedenfalls ist Syberberg ein Dichter, der auf Zelluloid schreibt.