Stoff in Hülle und Fülle, buchstäblich. Biografische Filme gibt es über Coco Chanel, Yves Saint-Laurent, Gianni Versace, während einer über Karl Lagerfeld in Vorbereitung ist. Und es gibt einen Film aus dem Jahr 2017 über den fiktiven englischen Modekünstler Reynolds Woodcock, der bei Paul Thomas Anderson aus Elementen und Eigenschaften realer Designer zusammengesetzt ist, so dass man etwa Spuren der Erneuerer Cristóbal Balenciaga und Christian Dior zu entdecken meint. In den Nachkriegsjahren in London kleidet er die weibliche High Society bis hinauf zur belgischen Prinzessin mit seinen exquisit raffinierten Roben ein. Die kreative Arbeit des Modeschöpfers lässt sich filmisch leichter ins Bild setzen, sie ist haptischer – materiell, stofflich eben – als die eines Musikers oder Dirigenten, wie zuletzt »Tár« und »Maestro«-Bernstein vorgeführt haben.
Mister Woodcock ist empfindlich wie Rainer Maria Rilke, so sehr, dass er seinen Tag »nicht mit einer Konfrontation beginnen kann«, dass ihn das Kratzen des Messers auf einer Scheibe Toast stört und das feine Klirren einer Porzellantasse aus dem Konzept bringt. Er hat sich eingerichtet in das Regelwerk einer sublimen Etikette und Effizienz aus Disziplin, Talent und Distanz und einer bis ins Manische gesteigerten Sensibilität und Egozentrik. Woodcocks beherrschte Schwester Cyril (Lesley Manville) wacht eifersüchtig über ihn und stellt seinen Kontakt zur Welt dar und her, die er nur dosiert und gefiltert erträgt.
»Der seidene Faden«, das meint die zarte, vom Zerreißen bedrohte Verbindung, die einen Menschen mit sich selbst oder zwei Menschen miteinander in Beziehung setzt. Im Leben eines Modedesigners ist er zugleich praktisches Utensil. Wir betreten wie auf Zehenspitzen eine Welt der Schönheit, des Stil- und Kunstvollen, begleitet von perlenden Klavierläufen, die ins sacht Jazzige hinüberspielen, sich voluminös bauschen oder Kammermusik von Franz Schubert aufnehmen. Auch Paul Thomas Anderson bewegt sich moderat, taktvoll und mit zierlichem Gang durch den Film, der im Ausloten seiner Charaktere und ihrer minutiösen Regungen die Qualität eines Henry-James-Romans hat.
Meister des Perfektionistischen
Der 1970 in Kalifornien geborene Anderson ist selbst ein Meister des akribisch Genauen, Perfektionistischen und komplexer Dramaturgien für seine Erzählmuster. Sein Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis aus zwei Filmen (zehn Jahre zuvor entstand »There will be Blood«) ist es ebenso. Ein Schauspieler, der sich physisch, physiognomisch und psychologisch total in eine Figur versenkt. Mit seinem Reynolds Woodcock hat Day-Lewis, so hatte der zweifache Oscar-Preisträger es zuvor angekündigt, seine Filmkarriere beendet. Hier zeigt er die noch gesteigert delikate Version seines Leyland Archer aus Edith Whartons & Martin Scorseses Epochengemälde »Zeit der Unschuld«.
Als Woodcock auf dem Land die junge Serviererin Alma (Vicky Krieps) trifft, deren diskrete Direktheit und dezentes Selbstbewusstsein ihm gefallen, macht der moderne Pygmalion sie umgehend zu seiner Muse und zu seinem sein Ideal verkörpernden Modell für die prächtigen Kleider. Die erste Anprobe und deren zärtliche Intimität ersetzt zunächst die erotische Praxis oder ist deren Vorspiel. Bald aber wird ein sanfter (sogar mit Gift geführter) Machtkampf zwischen Reynolds, der keine Irritation des Gewohnten verträgt, und Alma, die exklusive Nähe will, ausgetragen. Nunmehr seine Ehefrau, scheint sie in diesem Liebesduell siegreich zu bleiben. Man sollte jedoch Woodcock nicht unterschätzen. Der glückliche Instinkt des Künstlers kalkuliert auch diesen dauerhaften Zwischenfall mit ein.