Wir wollen nicht vom Kino ablenken, sondern zum Kino hinlenken, zu dem, was es war und – wieder – ist. Regelmäßig stellen wir einen Klassiker des deutschen und internationalen Films vor, der nicht immer zum Kanon gehört, aber eine Rarität und Kostbarkeit ist. Bei einem der Anbieter lassen sie sich ausleihen, als DVD kaufen, zur Not bei youtube besichtigen. Nur Netflix-Serien zu schauen, verengt den Blick.
Die Baronin Tania Blixen-Finecke, die auch die Pseudonyme Karen Blixen und Isak Dinesen benutzte, hebt zu erzählen an: »Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngongberge.« Der berühmte erste Satz schlägt die Sehnsuchts-Tonlage an: »Ich hatte« – Es war einmal. Verlorene Zeit. »Reiten, Bogenschießen, die Wahrheit sagen.«, steht als Motto dem 1937 erschienenen Buch voran, das Bekenntniswerk, Trauerarbeit, mystische Schrift, Autobiografie, Fiktion und poetisch verdichtete Propaganda für den Schwarzen Erdteil ist. Ein romantisches und ein moralisches Programm. Beides erfüllt »Afrika dunkel lockende Welt«, das ein halbes Jahrhundert später ein Glanzstück Hollywoods wurde, gedreht von Sydney Pollack mit Meryl Streep und Robert Redford.
Erlebtes und Erträumtes. So sind auch die Erzählungen Blixens: so gut, dass Ernest Hemingway, als er 1954 den Literaturnobelpreis erhielt, in seiner Dankesrede sagte, ihm wäre wohler, wenn Isak Dinesen die Auszeichnung bekommen hätte. Eine Frau nach seinem Geschmack: Abenteurerin, Träumerin, Kämpferin. Zurück in Dänemark residiert Blixen, krank, zart und vornehm, verfasst ihre kostbaren Novellen und Gothic Tales, in denen Zeichen und Wunder geschehen, und empfängt die Welt. Keine Autorin, vielmehr eine Dichterin. In Blixens Geschichten ereignet sich das Wunderbare häufig von unerwarteter Seite.
Haferschleim und ein Halleluja
So auch in »Babettes Festmahl«, dezent und deshalb kongenial verfilmt von Gabriel Axen mit der wunderbar resoluten und zugleich artifiziellen Stéphane Audran als Titelheldin. Das Triviale der Existenz lässt sich ganz unterschiedlich überwinden. Ein Fischerdorf an Jütlands karger Küste. Mittelpunkt ist der pietistische Prediger und nach dessen Tod dessen zwei Töchter. Ein bieder beschränktes Milieu, in dem die Milch frommer Denkungsart auf der Menükarte steht und ansonsten Haferschleim und dünne Suppe nebst einem Halleluja auf den Lippen. Die Große Welt klopft an in Gestalt einer Französin, die die gleichmachende Revolution aus Paris vertrieb. Babette führt nun den ledigen Martina und Philippa, denen in ihrer Jugend jeweils die Liebe begegnet war, den Haushalt.
Blixen interessieren Künstlerschicksale, die sich auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen geben. Auch die Köchin der Aristokratie, Babette, ist Künstlerin – im Exil. Einmal zeigt sie ihre Könnerschaft, als höbe sich der Vorhang über einer verschwenderisch ausgestatteten Szene. Ihren unverhofften Lotteriegewinn verwendet sie, um ein Souper, nein, nicht zu kochen, zu braten, zu backen. Sie zelebriert es. Das Paradies eröffnet sich Augen und Gaumen der geladenen Konventikler, deren asketische Gesinnung verbietet, sich über irdische Genüsse zu entzücken. Was wissen sie von Veuve Cliquot 1860, Cailles en Sarkophage mit Foie Gras und Trüffelsauce? Ihnen genügt das himmlische Manna. So nehmen sie stoisch das Labsal zu sich wie eine göttliche Prüfung. Unter den Gästen ist nur einer, der schmeckt das Exquisite – was geht Babette das übrige Publikum an. Dieser Eine erkennt ihre Größe. Ihr Geld ist perdu, die Kunst aber unvergänglich.