Ein Film in Zivil aus einer Zeit, die stamm stand. Sein Regisseur desertiert vor dem dämonischen Zeitgeist. Ein Idyll, mitten im Krieg. Aber kein verlogenes, die Sinne vernebelndes. Nicht das Vorspiegeln falscher Tatsachen, sondern ein Ausweg aus der Seuche der Ideologie: leicht, luzid, transitorisch. Poetischer Realismus ohne einen einzigen falschen Ton. Wir hören keine Bomben, Schüsse und schneidigen Befehle, sehen keine Ruinen, keine Uniformen, bekommen es nicht zu tun mit Marionetten des deutschen Volkskörpers.
Als Helmut Käutner, der im Westdeutschland der 50er Jahre zum wichtigsten Regisseur wurde, 1944 »Unter den Brücken« dreht, bleibt der Staat außen vor: seine Triumphe des Willens, Durchhalteparolen, in Unterhaltung verkleidete Propagandalügen und letzten Aufgebote von Heroismus. Angesichts der Großmannssucht des Dritten Reichs ist das eine enorme Leistung, die Käutner allerdings von einige Kritikern später als affirmativ, eskapistisch, sentimental ausgelegt wurde. Was für ein Missverstehen! »Unter den Brücken« ist reine Poesie in Licht und Schatten und dem Klang der Tonspur.
Zwei hemdsärmelig reelle Binnenschiffer, Hendrik (Carl Raddatz) und Willy (Gustav Knuth), beobachten auf einer Brücke bei Potsdam eine junge Frau und fürchten, sie wolle in den Tod springen. Sie nehmen sie an Bord. Schnell ist die Liebe im Spiel, Anna (Hannelore Schroth) zögert, nimmt Abstand, kehrt allein in ihre Berliner Wohnung zurück. Die beiden dicken Freunde zanken und trennen sich wegen ihr, bis sich der Konflikt in Harmonie auflöst. Drei Displaced Persons finden aneinander Heimat. Der feinsinnige, kluge Käutner variiert das Motiv der Lebensreise. Der Lastkahn wird zum dritten Ort: festes Land auf dem Wasser.
Anna – der Name ist ein Anagramm (fast ein Anna-Gramm) und gut teilbar. Anna wird mit beiden Männern leben, mit ihrem Schatz und mit dem gutmütigen Willy, der vorn in die Kajüte zieht. Eine Ménage à trois, was Joseph Goebbels nicht geschätzt hätte. »Unter den Brücken« entging nur der Zensur, weil darüber das Tausendjährige Reich endete.
Die Szene, in der Anna für Hendrik einen Teerfleck vom Finger schrubbt, dabei ihre Köpfe ganz nah aneinander geraten und er ihr die in die Stirn fallende Haarlocke beiseite atmet, worauf sie sagt: »Sie können mich doch nicht einfach anpusten«, ist eine der schönsten des deutschen Films überhaupt. Der Regisseur Christian Petzold hat auch von ihr erzählt, schon bevor er 2013 den Düsseldorfer Helmut-Käutner-Preis erhielt.
Als DVD unter anderem erhältlich in der Edition der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung