»Otello« war lange ein seltener Gast auf hiesigen Opernbühnen. Verdis Alterswerk ist in den Hauptrollen schwer zu besetzen und die nahezu durchkomponierte Partitur arm an Stellen zum Mitsummen. Ende letzter Spielzeit machten sich jedoch Wuppertal und Bonn mit einer starken Hilsdorf-Arbeit an das monolithische Werk, nun gefolgt von Gelsenkirchen. Seit geraumer Zeit beweist das Musiktheater im Revier, das unmittelbar vor einem Leitungswechsel steht, Ambition und Mut zu ausgefallenen Programmen. Der unermüdliche Samuel Bächli, die motivierte Neue Philharmonie Westfalen und das großartige, oft fachübergreifend singende Ensemble sind Säulen dieser kontinuierlichen Qualität und lassen Regie-Halbheiten nicht so zum Tragen kommen.
So auch bei »Otello«, dessen Ehre wiederum Dirigent und Sänger zufällt. Dabei eröffnete Dieter Kaegis Regie zunächst eine originelle Perspektive. Die Bühne (Stefanie Pasterkamp) ist eine Boxarena mit gleißend ausgeleuchtetem Ring, umgeben von steilen Zuschauerrängen und Übertragungswänden. Otello als edel ergrauter Boxpromoter betreibt sein hartes Geschäft ohne innere Regung und scheint mit seiner jungen Frau Desdemona überfordert. Jago, Cassio, Roderigo und die übrigen Sportsfreunde rekrutieren sich aus dem halbseidenen Milieu; Chor und ein Trupp Cheerleader sorgen hektisch für Action. Keith Olsen gibt Otello als nobel singenden, zurückhaltenden Grandseigneur, der sich Wut und entsprechender Brachialtöne enthält. Differenziert und geschmackvoll geht er mit seinem lyrisch angelegten Tenor den mörderischen Part an, dem er freilich hier und da das geforderte Heldenmetall schuldig bleibt. Noriko Ogawa-Yatakes Sopran klingt reif, manchmal überreif und wirkt im dritten Akt überlastet. Desdemonas großes Gebet des vierten Aktes dagegen gelingt ihr makellos.
Das Match als Metapher für die Kämpfe des Lebens, nun gut. Doch bleibt die Inszenierung nicht konsequent bei der Sache und verliert sie sogar ganz aus den Augen. Weder der Konflikt Otello / Jago findet im Ring statt noch das Eifersuchtsdrama des Ehepaars. Nachdem im letzten Akt der ganze Plunder von der Bühne geräumt wurde, kann sich auf einem kargen Podest sogar ein überraschend dichtes Kammerspiel entwickeln. Warum nicht gleich so? // REM