TEXT: KATJA BEHRENS
»Alles, was ich tue, ist völlig originell – ich habe es mir als kleines Kind ausgedacht«, so ein Diktum Claes Oldenburgs, 1966 gesprochen, in der Hochzeit der Pop-Art, als einer deren wichtigsten Vertreter Oldenburg gilt. Schon als Kind hatte Oldenburg, 1928 in Stockholm als Sohn eines Diplomaten geboren, sich komplexe Fantasiewelten ausgedacht, Gefüge aus Plänen und Gegenständen, von denen viele in seinem späteren Werk wieder auftauchen. Als er in den späten 1950er und 60er Jahren maßgeblich daran beteiligt war, das Konzept von Skulptur neu zu definieren. Nun ist im Museum Ludwig ein großer Überblick über Oldenburgs Schaffen jener Zeit zu sehen, Jahre, in denen die Kunst die Konsumwelt kritisierte – und sich zugleich mit ihr versöhnte.
Von den späten 1950er bis Mitte der 1970er Jahre reicht das Spektrum dieser Ausstellung, die mit den Installationen »The Street« und »The Store« sowie den Dokumentationen der sie begleitenden Happenings fulminant einsetzt. Weiter geht es mit den seit 1962 entstehenden Soft Sculptures, den weich verfremdeten Gebrauchsgegenständen des modernen Eigenheims, dem weichen WC-Sitz aus Kapok und Vinyl, dem Soft- Ventilator, den Soft-Lichtschaltern, den von der Decke baumelnden labbrigen Pommes, dem gepolsterten Handmixer und der allzu biegsamen Säge. Viele dieser Weichteile gibt es auch in einer harten Variante, aus Karton. Neben den Soft-, Hard-, Ghost- und Giant-Versionen seiner Objektskulpturen der 1960er Jahre und den Entwürfen, Zeichnungen und Collagen zu den riesigen öffentlichen Monumenten, ist das 1972 zur Documenta IV entstandene »Mouse Museum« sicher ein auch konzeptueller Höhepunkt der Ausstellung. Ist hier doch eine Sammlung untergebracht, die der Künstler seit den späten 1950er Jahren zusammentrug: Souvenirs, Fundstücke, Ateliermodelle, Alltägliches, Kitschobjekte und überflüssiger Tand. Das Mouse Museum ist ein Archiv von Splittern des Lebens und Zeugnis der Liebe zu den kleinen, einfachsten und nebensächlichsten Dingen. Betonklumpen und rostige Nägel, Getränkedosenverschlüsse und Zigarettenkippen hat der Künstler im darin arrangiert wie steinzeitliche Werkzeuge in der Ethnologischen Sammlung oder Mineralien im Naturkundlichen Museum – allesamt Zeugen eines Lebens in unserer Gesellschaft, Relikte des Plastikzeitalters.
Die Maler des abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock, Barnett Newman, Mark Rothko, Franz Kline und andere hatten ihre Inspiration aus der weiten Natur des amerikanischen Westens gewonnen, hatten das überwältigend Erhabene der amerikanischen Wildnis in ihre Bildsprache übersetzt und wohl auch den Trubel der modernen Großstadt. Aber die Besonderheiten der Landschaft oder die Banalitäten des Alltags wollten diese Künstler nicht sehen. Sie suchten eine abstrakte, metaphorische und universale Sprache, ohne Bedingungen, ohne Begrenzungen.
Ganz anders die nächste Künstlergeneration, zu der u.a. Claes Oldenburg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein und James Rosenquist gehören. Sie nun kehrten ausdrücklich zum Subjekt und zu ihrer unmittelbaren Umgebung zurück, zu den konkreten Phänomenen und Dingen ihrer amerikanischen Lebenswelt, die ihnen die Themen und Motive für ihre Kunst lieferten. Die Komplexitäten und Widersprüche, die banalsten und die befremdlichsten Aspekte ihrer Zeitgenossenschaft sind ihnen gleichwertig, egal ob handgefertigt oder maschinell fabriziert.
In vielen der Happenings, die Allan Kaprow, Claes Oldenburg, Lucas Samaras und Robert Whitman in den späten 50ern aufführten – nachdem sie dem Pathos des abstrakten Expressionismus eine Absage erteilt hatten –, ist das alltägliche Chaos ihres urbanen Umfelds ein zentrales Sujet. Die Performances richteten den Blick etwa auf die Grenzlagen des Lebens in den Slums und das Unvermögen der kleinen Leute, am Wohlstand ihres Landes teilzuhaben. 1960, in »The Street«, seiner ersten großen Rauminstallation, ließ Oldenburg einen verwitternden und zerfallenden Slum erstehen. Aus alter Pappe, Zeitungen und verkohlten Holzresten konstruiert, von denen einige die Form von Häusern, Objekten und Menschen hatten, andere wie Bauschutt auf Haufen herumlagen, brachte die Arbeit Brutalität und Härte des urbanen Elends zur Anschauung. Und war gleichzeitig Kritik an Material und Praxis des Kunstbetriebs.
Im Dezember 1961 mietet Claes Oldenburg ein kleines Ladenlokal an der East Second Street. Ins Schaufenster, ja in den ganzen Laden stellt er handgefertigte, bunt bemalte Skulpturen, die an Alltags- und Konsumartikel erinnern, wie sie in den benachbarten Läden zu finden sind: Esswaren und Kleidung, alle möglichen Gegenstände und Souvenirs, Kisten und Kästen, aber auch Teile von Werbeplakaten und Preisschildern. Die Konsumgüter in den Läden seiner unmittelbaren Umgebung, sagt der Künstler 1961, übten einen so großen Zauber auf ihn aus, dass er sie einfach imitieren wolle. Aber nicht nur das: In seinem Laden produziert er sie, bietet sie an, verkauft sie. Atelier und Galerie, Studio und Museum vermischen sich und mit ihnen Produktion und Distribution. Was dabei aber genauso schwer wiegt, ist die Idee, die institutionellen Grenzen aufzuheben und sich gewissermaßen seiner urbanen, armen Nachbarschaft anzupassen, ihre Objekte zu übernehmen, sie in einen neuen Kontext zu stellen, sie in ihrer Anverwandlung selbst zu verändern.
All diese Objekte sind rau, sehen irgendwie halbfertig, schludrig und schlampig aus. Sie wirken wie eine Parodie auf die Hochtechnologie-Produkte der industriellen Welt, feiern den sensiblen und expressiven Reichtum handwerklicher Kreativität und untergraben die hochtrabenden Konzepte einer reinen, schönen Kunst und ihrer esoterischen oder metaphysischen Bedeutung. Indem Oldenburg die Arbeiten von der Decke hängen lässt, sie direkt an die Wand nagelt, einfach auf den Boden, auf Tische oder ins Fenster legt, kommentiert der Künstler die Konventionen der Kunstgalerie, die Werke ordentlich gerahmt oder auf Podesten im ansonsten leeren, weißen Raum zu präsentieren.
1962 richtet Oldenburg eine zweite Version des »Store« ein, auf der Fifty-Seventh-Street, im zentralen Galerienviertel. Jetzt ist die Darbietung sparsam, ordentlich, alles wirkt fast edel. Die bemalten Gipsobjekte werden kombiniert mit gigantischen Nahrungsmitteln, die der Ausstellung etwas Fantastisches und in ihrer Üppigkeit eine Aura von Wohlstand und Gedeihen verleihen. Wider greift der »Store« die Atmosphäre seiner Nachbarschaft auf, doch diesmal eben die Gefilde des Konsums, in denen kaufen und verkaufen eher dem Vergnügen dienen und keine Notwendigkeit sind. Der Materialismus und die Attitüden der amerikanischen Upper-Middle-Class bieten dem Künstler genug Angriffsfläche.
Umfassend ist der Überblick, den das Museum Ludwig über Oldenburgs Lebenswerk bietet. Neben großen Arbeiten und und Werkensembles finden sich private Bilder, Fotografien des Künstlers bei der Arbeit, Scans von Zeichnungen auf losen Notizbuchblättern, Wasserfarbe-Zeichnungen, Ansichten seines Studios und Film-Stills seiner Performances und Happenings. Sie alle gewähren Einblick in die geistreichen Denkprozesse des viermaligen Documenta-Teilnehmers und ermuntern dazu, den Künstler als radikalen Erneuerer noch einmal zu entdecken – ihn aus der Pop-Ecke, in der er schon etwas Staub ansetzte, zu befreien.
Museum Ludwig Köln, bis 30. September 2012, Tel. 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de