TEXT: GUIDO FISCHER
Postbarock bunt pumpte es los, mit nimmermüden Rhythmen und luftigen Streicher- und Bläser-Girlanden, die eine perfekte Klangtapete bildeten zum historischen Vexierspiel »Der Kontrakt des Zeichners« von Peter Greenaway. 1985 fuhr Michael Nyman für Greenaways surreale Evolutionsstory »Ein und zwei Nullen« das Hochgeschwindigkeitsgetriebe herunter, bis nur jenes monotone Bass-Zucken übrigblieb, mit dem schon drei Jahrhunderte zuvor der Engländer Henry Purcell schneidende Eiseskälte musikalisch versinnbildlichte. Egal, aus welchen Kapiteln der Musikgeschichte sich Nyman bedient, seine minimalistischen und musterartig angelegten Retro-Sounds wurden zu akustischen Markenzeichen vieler Greenaway-Filme.
Nyman hat seine in den 1980er Jahren erlangte Berühmtheit um einiges erweitert, zumal mit den Soundtracks für Volker Schlöndorffs »Der Unhold« und das Oscar-prämierte »Piano« von Jane Campion. Mittlerweile ist Nyman 68 Jahre alt und gehört zu den meistbeschäftigten zeitgenössischen Komponisten, der Aufträge zu Opern und Streichquartetten annimmt oder ein Mode-Defilée von Yohji Yamamoto klanglich einkleidet. Nymans Musik funktioniert mit ihrer tonalen Kulinarik und intensiven, soghaften Rhythmik eigentlich immer. Und wie er zugibt, soll sie nur »schön« sein.
Mit diesem Anspruch hat sich der Londoner zwar den Weg in den elitären Neue Musik-Zirkel versperrt. Aber das stört ihn wenig. Zumal er schon in den 60er Jahren mit der Avantgarde haderte und sich mehr von den komplexen Rhythmusschleifen eines Steve Reich und Philip Glass angezogen fühlte. Bevor er aber ihrer Minimal Music nacheiferte (ein Begriff, den übrigens der Musikwissenschaftler Nyman prägte), entdeckte er die Barockmusik für sich. Für die Inszenierung eines Stücks von Carlo Goldoni gründete er 1977 die Straßenmusikanten-Truppe Campiello, die mit Banjo und Saxofon über die Musik des 18. Jahrhunderts herfiel und sie verballhornte – und zwar in gewaltiger Lautstärke.
Seither kommen Nymans Dekonstruktionen der Musikhistorie um einiges kultivierter daher. Mit seiner Michael Nyman Band, die er aus Mitgliedern von Campiello formierte, wurden Mozart und sogar der Wiener Neutöner Anton Webern remixt.
Mit seinem seit 30 Jahren bestehenden Musikerkollektiv hat Nyman in letzter Zeit vorrangig Orchesterstücke sowie Opern aufgeführt und eingespielt. Beim Gastspiel in der Kölner Philharmonie kehrt man zu den Wurzeln und verwandelt sich in ein reines Soundtrack-Ensemble zurück. Zu zwei Stummfilmen hat Nyman an Klavier und Computer eine Musik komponiert, die mit treibenden Rhythmen ideal das pulsierende Großstadtleben eines sowjetischen und zweier amerikanischer Filme akustisch übersetzt. 1921 drehten Charles Sheeler & Paul Strand mit »Manhatta« eine Hymne auf das New Yorker Herz. In Dziga Vertovs poetisch gewitztem Doku-Klassiker »Der Mann mit der Kamera« wird man Augenzeuge, wie 1929 ein Tag in einer russischen Metropole aussah.
17. November 2012, Philharmonie Köln; www.koelner-philharmonie.de