TEXT GUIDO FISCHER
Als Philip Glass kürzlich von der New York Times gefragt wurde, welches Kompliment ihn stolz mache, antwortete er: »Wenn jemand von einem neuen Stück meint, dass es gar nicht nach mir klingt.« Das kann er nur ironisch gemeint haben. Denn Glass weiß nur zu gut, dass er im Grunde nie etwas komponiert hat, das ihn nicht von den ersten Takten an als Urheber verraten würde. Ob große Oper oder handliches Klavierstück, Soundtrack oder Sinfonie – stets sind es diese winzigen Rhythmuszellen, aus denen Glass seine Kompositionen konstruiert, die mit ihren ständig veränderten Wiederholungen hypnotische Wirkung erzeugen können. Als besonders typische Glass-Zutat schälen sich Melodien heraus, die eingängig sind und bisweilen auch nicht sirup-süßes Pathos scheuen.
So definiert sich seit fast einem halben Jahrhundert der Sound eines Komponisten, der damit zu einem der einflussreichsten Zeitgenossen wurde. Das Spiel mit den repetitiven Strukturen der Musik und den wiederkehrenden Kreisbewegungen und Schleifen hat sich nicht nur in Konzert- und Opernhäusern etabliert. Neben Karlheinz Stockhausen, John Cage und Steve Reich gehört er zu jener überschaubaren Riege, die selbst in der jüngeren Rock-und Popgeschichte Spuren hinterlässt. Für David Bowie, Kraftwerk und Brian Eno war Glass’ Musik prägend. Als der aus Baltimore stammende Mitbegründer der Minimal Music vor fünf Jahren seinen 75. Geburtstag feierte, gratulierte ihm der bunte Pop-Vogel Beck mit einem Remix-Album.
Dass Glass hingegen gerade in europäischen Neue-Musik-Zirkeln von Beginn an als Persona non grata galt, hat ihn nicht gestört. Im Gegenteil. Auch wenn er Anfang der 1960er Jahre noch nach Paris gereist war, um bei der legendären Komponistin und Pädagogin Nadia Boulanger zu studieren, ging er schnell auf
Distanz zur Musik von Boulez und Nono und beschimpfte sie als »Wahnsinnige, die alle anderen zwingen wollen, ebenso kranke, wahnsinnige Musik zu schreiben«. Immensen Einfluss sollte indes der indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar auf ihn ausüben. Er wies Glass in die Geheimnisse der asiatischen Musik und den raffinierten Umgang mit rhythmischen Mustern ein. Nachdem er in New York mit Steve Reich einen weiteren Geistesverwandten kennengelernt hatte, widmete er sich fortan einer Musik, die ihre Energie und Faszination auch den unmerklichen Veränderungen, Unregelmäßigkeiten und Asymmetrien verdankt.
Etliche Werke sind nach diesem Prinzip entstanden, darunter Kultstücke wie die mit Robert Wilson konzipierte Oper »Einstein on the Beach« sowie die suggestiven Soundracks zu den Filmen »Koyaanisqatsi« und »Powaqqatsi«. Zudem haben sich Ausnahme-Interpreten wie der Geiger Gidon Kremer und das Kronos Quartet für Glass’ Klangströme und -strudel begeistert. Einer der besten Glass-Kenner ist seit Jahrzehnten der amerikanische Dirigent und Pianist Dennis Russell Davies. Zu Beginn dieses Jahres hat er anlässlich des 80. Geburtstags dessen 11. Sinfonie in der Carnegie Hall uraufgeführt. Nun ist Davies gemeinsam mit der Pianistin Maki Namekawa beim Klavier-Festival Ruhr zu Gast, um u.a. vierhändige Klavierstücke des Jubilars zu präsentieren. Aus seiner Tanzoper »Les Enfants terribles« kommt eine für drei Klaviere gesetzte Suite zu Gehör, bei der Glass einen Part übernehmen wird. Happy Birthday!
Maki Namekawa, Dennis Russell Davies, Philip Glass: Werke von Glass; 12. Juli, Zeche Zollverein, Essen.