// Kunst im öffentlichen Raum, Akzentuierung der (post-)industriellen Landschaft durch »Landmarken« und Lichtinstallationen, Ästhetisierung und Neuinterpretation öder Verkehrsschneisen mit künstlerischen Mitteln – seit der sagenumwobenen IBA ist man damit vertraut im Ruhrgebiet. Und im Aufgalopp zum Kulturhauptstadtjahr ist dergleichen gängige kulturelle Handelsware: Kaum eine Halde, die nicht markiert oder illuminiert würde. Früher, so will es scheinen, früher hat es so was nicht gegeben. Das ist wahr und auch wieder nicht, denn Ideen dieser Art waren schon lange vor der IBA da. Nur blieben es damals Ideen. Eine Ausstellung an vier Orten setzt nun den Vorläufern der heutigen Revier-Markierer ein Denkmal: »Industrial Land Art – 50 Jahre künstlerische Gestaltung des Ruhrlandes«.
Das Marler Skulpturenmuseum Glaskasten hat den Part einer historischen Revue übernommen und setzt dabei im Jahr 1952 an, als Werner Graeff seine Vision von der »künstlerischen Gestaltung des Ruhrlandes« präsentierte. Gerade in diesem Industrieland seien »die Vorbedingungen weit günstiger als fast überall sonst. Denn hier warten größere Aufgaben als anderenortes. Aufgaben, die nur mit Hilfe tüchtiger Künstler zu lösen sind.« Einen »echten Organismus von einmaliger Großartigkeit« sieht Bauhäusler und »de Stijl«-Mitglied Graeff im Ruhrgebiet. Doch Farbe will er ihm verleihen, und »vor dem Auge des Künstlers ersteht die Vision einer einzigartigen Ruhrland-Komposition: Grünwuchs, Bauten und Farbakzente … bilden ein harmonisches Ganzes.« Und: »Es könnte wohl so kommen, dass man von weither reiste, um das faszinierende Schauspiel einer Bahnfahrt durch das großartig gestaltete Ruhrland zu genießen.«
Da war Graeff seiner Zeit weit voraus – einerseits. Andererseits wirken das expressionistische Pathos aus seinen jugendbewegten frühen Jahren, der naive Glaube an die heilende Kraft der Kunst und der dekorativen Farbe seltsam gestrig gegenüber der Realität des ungebremst produzierenden Ruhrgebietes im Jahr 1952. Auch der schöne Name »Ruhrland« verweist auf eine frühere Tendenz zur Romantisierung der Region, wie sie nach ihrer Instrumentalisierung durch Nationalisten, »Blut und Boden« eigentlich passé war. Dass Graeffs Initiative trotz Planungen, Entwürfen und namhafter Fürsprecher wie Willi Baumeister bald im Sande verlief, kann angesichts der im Ansatz zweifelhaften Konzeption kaum verwundern.
Näher an der Gegenwart sind andere künstlerische Meilensteine, an die im Glaskasten erinnert wird: »junger westen« in Recklinghausen. Die »Szene Gelsenkirchen« mit Werner Ruhnaus Musiktheater und den Plänen für ein »städtisches Forum« samt »Feuer-Wasser-Luft-Café«, mit den Düsseldorfer ZERO-Künstlern Piene, Mack und Uecker, die über Yves Klein mit Gelsenkirchen und seinem kunstgeneigten Oberbürgermeister Scharley in Berührung kamen und für die Stadt 1965 ein kubusförmiges ZERO-Museum entwarfen. Die Begegnung zwischen Bernd und Hilla Becher und dem amerikanischen Land-Art-Künstler Robert Smithson in Oberhausen. Die Folkwang-Ausstellung »Szene Rhein Ruhr ’72« in Park und Messehallen der Essener Gruga – hochgelobter Versuch, »aktuelle Kunst in die breite Bevölkerung zu tragen« (FAZ). Wilde Diskussionen in Bochum und Marl um geplante Serra-Skulpturen, mit dem unvergessenen Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl als treibender Kraft. Das Künstlersymposion 1983 auf der noch wüsten Zeche Carl in Essen, bei dem erstmals künstlerische Begleitung des strukturgewandelten Ruhrgebiets im Zentrum stand.
Obwohl extrem kurzlebig, erfährt eine Künstlervereinigung in Kunstmuseum und KunstVerein Ahlen ihre besondere Würdigung: »Die Künstlergruppe ›B1‹ und die Folgen.« Hinter dem Kürzel der schon damals als »Ruhrschleichweg« berüchtigten Bundesstraße (heute zur A 40 geadelt) verbargen sich Helmut Bettenhausen, Bernd Damke, Günter Dohr, Rolf Glasmeier, Kuno Gonschior, Friedrich Gräsel, Ewerdt Hilgemann, Franz-Rudolf Knubel, Ferdinand Spindel und Günter Tollmann. Ihr »Manifest« verkündete 1969: »B1 macht objekte, projekte, plastiken, bilder, räume. B1 arbeitet kinetisch und statisch, mobil und stabil. B1 ist produktiv. B1 ist auf fabrikation und industrie eingestellt. B1 spielt und ist immer neugierig. B1 sind zehn, die an der B1 leben.« Bliebe hinzuzufügen: B1 löst sich ganz schnell wieder auf. Schon 1970 war’s vorbei.
Sie hatten nicht weniger vor, als das ganze Ruhrgebiet zum Kunstwerk zu verwandeln. Sie postulierten, dass »eine zwingende wechselbeziehung zwischen konstruktiv-künstlerischen bestrebungen und industrieller umwelt besteht und dass entlang der B1 aktuellste tendenzen der gegenwartskunst auf hohem niveau exisitieren.« Und sie wollten die autobahnartige B1 zu einem Kunstboulevard machen – etwa mit »Kurvensignalen« von Helmut Bettenhausen, mit dem »Kurvenmonument B1« von Bernd Damke, mit Neon-Installationen von Günter Dohr, mit Friedrich Gräsels röhrenförmigen Beton-Skulpturen als Wegmarken. Bei einer Busfahrt mit Journalisten aus ganz Deutschland brachte der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk diese Idee an die Öffentlichkeit; ein kleiner Film von diesem Ereignis hat im Archiv überlebt und wurde jetzt restauriert und veröffentlicht.
Mehr aber passierte nicht. Ein geplanter »richtiger« Film über das B1-Projekt wurde schon nicht mehr realisiert, weil der Siedlungsverband die Mittel anderweitig verwandte. »B1« löste sich auf. Zu besichtigen sind in Ahlen daher vor allem Werke der einzelnen B1-Männer zwischen 1970 und heute. Eine ähnliche Ausstellung mit aktuellen Arbeiten auch jüngerer Künstler in der Herner Künstlerzeche »Unser Fritz« komplettiert diesen Überblick und zeigt, wie sich einzelne Künstler mit der Region, mit Industriebauten und Verkehrswegen und mit industriellen Materialien auseinandersetzten.
Warum aber das schnelle Ende von »B1«? Ausstellung und Katalogtext legen nahe, dass die B1-Leute ihrer Zeit einfach voraus gewesen seien und daher die notwendige Unterstützung bei den Institutionen letztlich nicht hätten finden können. B1-Mann Bernd Damke hat dagegen in einem Interview angedeutet, dass im Gegenteil Einflüsse von außen den Schwung der Gruppe gebrochen hätten, weil man sich nicht habe »vereinnahmen lassen von den Institutionen.« Was allerdings eher bockig klingt denn wie eine ernsthafte Erklärung.
Genau diese Kernfrage bleibt also offen: Warum blieben die frühen Ideen zur künstlerischen Gestaltung des Ruhrgebiets auf einen so engen Kreis begrenzt und wurden nie realisiert? Welchen Sesam-Schlüssel hatten die IBA-Macher, dass ganz ähnliche Projekte nach 1989 – und bis heute – in Serie entstehen konnten? Zeitgeist? Oder müssen mächtige Macher und Institutionen Künstler bei der Hand nehmen? Und geht das auf Kosten der künstlerischen Integrität? Nehmen Institutionen den Künstlern gar das Heft ganz aus der Hand, wie deren Klagen über mangelnde Einbindung bei der »Kulturhauptstadt 2010« nahe legen?
Es bleibt auch zu fragen, ob etwa mit der Kanonisierung von Serras »Bramme« auf der Essener Schurenbachhalde auch der Ruhrkampf gegen spießbürgerliche Kunstfeinde rundum siegreich beendet ist. Schließlich laufen gerade wieder Essener Bürger Sturm gegen eine fachlich vielgelobte Hausfassade aus Serras geliebtem Cor-Ten-Stahl: »Rostlaube«. Zu vermuten ist: Der Kampf geht weiter. Sicher dagegen ist, dass die Kulturhauptstadt-Macher beim 2010 geplanten Stillstands-Event auf der A 40 den überlebenden »B1«-Leuten und anderen Pionieren der Land-Art ein paar der 23.000 Tische reservieren sollten. »Tüchtige Künstler« sind sie allemal, auch wenn ihre Ideen so lange Idee blieben. //
Bis 25. Oktober 2009 www.marl.de + www.kunstmuseum-ahlen.de + www.kunstvereinahlen.de + www.kuenstlerzeche.de