Einstein? Das war doch letztes Jahr? Doch kam da trotz gedenkjährlicher Gründlichkeit niemand darauf, Paul Dessaus Oper zu beleben. Man ahnt weshalb, erlebt man das Werk in Dortmund im »Nachklang zum Einstein-Jahr«. »Einstein«, 1974 an der Ost-Berliner Staatsoper von Dessaus Lebensgefährtin Ruth Berghaus uraufgeführt, wurde bislang nur zweimal nachgespielt. Operndirektorin Christine Mielitz, selbst Berghaus-Schülerin, entschied sich für die sperrige Parabel in der nicht unberechtigten Hoffnung, politisch relevantes Musiktheater zu zeigen, das bei Regisseur Gregor Horres zum Betroffenheitstheater wird. Wissenschaftsethik und atomare Bedrohung sind Themen ohne Verfallsdatum, hier aber schnurrt ein dröges Lehrstück ab: Verfremdung à la Brecht, Holzschnitt-Typen statt Charaktere, zackige Nummernabfolge und groteske Hanstwurstiaden als Referenz ans Volkstheater. Das Ganze ausgekleidet mit sparsam gemusterter Klangtapete bei Einsatz musikalischer Versatzstücke des frühen 20. Jahrhunderts.
Die Handlung, die historische Wahrheit großzügig handhabt, arbeitet thesenhaft mit Zeitsprüngen und filmartigen Schnitten. Der Einstein-Figur sind ein junges und altes Alter Ego zugesellt mit den für diese Lebensphasen üblichen Haltungen: Jugend = Idealismus, Alter = Opportunismus. Ferner ruft der Physiker in Gewissensnöten prominente Kollegen auf, doch weder Galilei noch Giordano Bruno noch Leonardo wissen Rat. Dabei ist Dessaus Welt ziemlich übersichtlich sortiert: fiese Nazis, aasige Amerikaner, friedensbewegte Ökos. Mittendrin Einstein, der durch Oskar Hillebrandt frappante Darstellung erfährt. Die rasch aufeinander folgenden, personenintensiven, von Horres gut geordneten Szenen zeichnen seinen Weg nach: von Deutschland in die USA, vom Entschluss, Hitler mit der Bombe zuvor zu kommen, bis in die Melancholie der späten Jahre. Der Lärm auf der Bühne kann jedoch das Altbackene des Werks und seinen unterkomplexen Ansatz nicht übertönen. Zumal Aktualisierungen (wie ein Witz über Merkels Frisur) den Staub auf dem Relikt nur deutlicher beleuchten. Das Dirigat Dirk Kaftans spitzt die transparenten Klänge scharf zu, die Einfalt der Zitat-Technik vermag jedoch auch er nicht zu brechen. REM