Der architektonische Migrant aus Sulawesi hat einiges mitgemacht. 26 Jahre ist es her, da kam er in zwei Fracht-Con-tainern hierher. Nach Köln, wo dem kleinen Prachtbau eine große Zukunft versprochen war. Als spektakulärer Eye-Catcher sollte das exotisch verzierte Vorratshaus im anvisierten Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums stehen und glänzen. Doch wanderte es erst einmal ins Depot. Und blieb dort – bis sein stolz geschwungenes Bambusdach Schimmel ansetzte und bald nicht mehr zu gebrauchen war.
Der verfallende Speicher aus dem fernen Indonesien musste miterleben, wie erste Neubaupläne des Kölner Baumeisters Gottfried Böhm platzten. Später wurde er Zeuge der 15 Jahre langen, leidigen Planungs- und Baugeschichte des neuen Museumszentrums an der Cäcilienstraße. In dieser Zeit sah er zu beim zu Recht umstrittenen Abriss der Haubrich Kunsthalle. Sodann schaute er lange ins legendäre Kölner »Loch«, das offen liegen blieb, weil das Geld fehlte für den Museumsneubau, der es füllen sollte. Immerfort wurde umgedacht, verworfen, neu geplant, die Eröffnung von einem Termin auf den nächsten verschoben.
Doch jetzt ist der sulawesische Dauergast am Ziel. Im Entrée des 66,7 Millionen Euro teuren neuen Kulturquartiers wirbt das Holzgehäuse auf Stelzen um Aufmerksamkeit fürs Rautenstrauch-Joest-Museum, das die »Völkerkunde« aus seinem Titel gestrichen hat, stattdessen mit dem Namenszusatz »Kulturen der Welt« und einem einzigartigen Themenparcours zum Neustart antritt. Vizedirektorin Jutta Engelhard war eigens nach Indonesien gereist, um dem Sammlungsliebling für seinen großen Auftritt ein neues Dach zu besorgen.
Schon bei der Sieger-Kür des europaweit ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs für das Museumsquartier am Neumarkt habe man darauf geachtet, dass der elf Meter lange und über sieben Meter hohe Reisspeicher prominent präsentiert werden könne, sagt sie. Und in der Tat: Er trifft es gut in der hellen, weiten, über 20 Meter hohen Eingangshalle des Neubaus. Denn hier zeigt sich das ansonsten architektonisch eher fade, dafür funktionale Museum von seiner besten Seite. Es ist ein »Zweckbau« durch und durch, der sich auf städtebaulich schwierigem Terrain zurechtfinden muss.
Vorne braust auf Schienen und mehreren Fahrspuren der Verkehr vorbei. An der einen Seite rückt dem Kulturbau das Hochhaus der Volkshochschule dicht auf die Pelle, und im Nacken sitzt ihm die Hauptverwaltung des Kaufhofs.
Dazwischen hatten die Architekten Schneider + Sendelbach aus Braunschweig Raum für mehrere Institute unter einem Dach zu vereinen. Das Rautenstrauch-Joest-Museum forderte überwiegend fensterlose Flächen für seine lichtempfindlichen Schätze. Daneben freut sich das Museum Schnütgen über einen lichten Erweiterungsbau und ein eigenes Gärtlein. Die Volkshochschule hat einen Vortragsaal bekommen. Auf der ersten Etage findet das neue Juniormuseum 200 Quadratmeter Platz, darüber die Bibliothek. Hinzu kommen Werkstätten, Depots und 45 Büros auch für den Museumsdienst.
Schneider + Sendelbach bringen alles unter in ihrer klinkerverkleideten Stahlbeton-Konstruktion. Außer einem großen Schaufenster mit Yamsspeicher hat die Front wenig Einladendes zu bieten. Drei dunkle Bauriegel zeichnen sich dort von außen gesehen ab, geteilt durch zwei gläserne Fugen. Die breitere von beiden beherbergt das Foyer, wo der Reisspeicher Teil einer gekonnten Inszenierung wird. Denn durch die Seitenfenster sichtbar, tritt ihm dort die 1160 errichtete Westfassade von Sankt Cäcilien gegenüber, wo das Museum Schnütgen sitzt.
Einmal eingetreten, weiß der Besucher sich sogleich begeistert. Nicht durch große Gesten, sondern die schlichte Präsentation im hellen neuen Anbau, der die monumentale Eingangshalle des Kulturzentrums mit den bereits bestehenden intimen Gebäudeteilen des Museums verbindet. Für sich sprechen hier hervorragende Beispiele mittelalterlicher Bauskulptur und Glasmalerei, die schon sehr lange nicht mehr oder noch nie öffentlich gezeigt wurden.
Denn der Platz im Museum Schnütgen reichte bisher gerade einmal, um zehn Prozent der Sammlung auszustellen – jetzt ist es das Doppelte, darunter mittelalterliche Plastik aus Kreuzgängen. 1802 war vieles davon im Zuge der Säkularisation zerstreut worden. Alexander Schnütgen, der im späteren 19. Jahrhundert den Grundstock des Museumsbestandes gelegt hatte, häufte an, was er finden konnte – immer unter dem Motto: »Sammelt die Stücklein, damit sie nicht untergehen.« Auf Augenhöhe präsentiert, machen kleine Fragmente großen Eindruck.
Neben einigen nie gesehenen Entdeckungen, wie dem kleinen verschmitzt lächelnden Engelsköpfchen, trifft man hier auf prominente Beispiele wie die Marmor-Figuren Mariens und der Heiligen Drei Könige, 1310 geschaffen für den gotischen Hochaltar des Kölner Doms. Oder das Tympanon von Sankt Cäcilien. Während die Kirche nebenan eine Kopie schmückt, wird das Original hier von allen Seiten ansichtig. Und beim Blick hinter die Fassade zeigt sich, dass für das mittelalterliche Stück antike Grabsteine recycelt wurden.
Schön auch die Scheiben des berühmten Zyklus aus dem Altenberger Dom – in aller Ausführlichkeit erzählen sie von Leben und Wirken des Heiligen Bernhard von Clairvaux. Zu dem guten Dutzend im Bestand kommen sechs, die Irene Ludwig, Gattin des verstorbenen Großsammlers Peter Ludwig, dem Haus zur Neueröffnung überlassen hat. Die transparenten Kunststücke werden hier nicht, wie sonst üblich, vom gleichmäßigen Schein elektrischer Quellen effektvoll zum Leuchten gebracht, sondern entfalten im wechselnden Tageslicht eine authentischere, sich fortwährend wandelnde Wirkung.
Vom An- oder Übergangsbau aus erschließen sich die alten Gebäudeteile des Museums. Jeder nutzt die eigenen Stärken, behält das eigene Gesicht. Der 1956 errichtete Anbau von Karl Band breitet im Dämmerlicht empfindliche Handschriften und Textilien aus. Köln verfügt über den deutschlandweit reichsten Bestand an mittelalterlichen Messgewändern.
Aus dem Fenster fällt der Blick in den neuen Garten, wo man demnächst wandeln oder ruhen kann zwischen Symbolblumen des Mittelalters und Heilkräutern, die schon Hildegard von Bingen in ihrem Pflanzenbuch beschrieb.
Kernstück des Schnütgen-Komplexes bleibt die 1956 bezogene Cäcilienkirche – wo ließe sich mittelalterliche Kunst besser ausstellen als in einer romanischen Kirche? Dank einer unerwarteten Erbschaft konnte ihr Inneres gründlich saniert und mit einem neuen Lichtsystem versehen werden.
Hier im Museum Schnütgen ist räumliche Vielfalt vorgegeben, und sie wird bestens genutzt. Ganz anders gegenüber im Rautenstrauch-Joest-Museum, das sich in den meist fensterlosen Hallen des Neubaus ausbreiten kann, wie kaum ein anderes Institut seiner Art: Um die 2.000 Objekte auf 3.600 Quadratmetern über drei Ebenen. Das könnte leicht ermüdend wirken – tut es aber ganz und gar nicht. Denn die neue Präsentation setzt alles daran, sich anschaulich, abwechslungsreich, interessant zu machen. Man holte einen Ausstellungsgestalter ins Haus, der sich »Szenograph« nennt und Räume schuf, die, begehbaren Bühnenbildern gleich, jedem Kapitel eine eigene Stimmung, einen eigenen Charakter geben. Überall trifft man auf Monitore, Hörstationen, Texte und Bilder, die sich auf Tische, in Schubladen und Vitrinen beamen.
Belebend hinzu kommt, dass die Neukonzeption das Material nicht mehr nach Regionen ordnet, wie alle anderen Museen dieser Sorte es schon immer tun, sondern in Themenräumen, die etwa der Kleidung, Ritualen, Religionen gewidmet sind und Objekte unterschiedlichster Herkunft vergleichend nebeneinander stellen. Da findet sich etwa ein Zelt der nordafrikanischen Tuareg samt Hausrat neben dem hölzernen Männerhaus, wie es die Asmat in Westneuguinea bewohnen.
»Mit unserem Themenparcours haben wir etwas ganz Neues generiert«, jubelt Vizedirektorin Engelhard, die der oft »kunstlastigen« Präsentation der meisten anderen völkerkundlichen Institute einen mehr kulturgeschichtlich orientierten Ansatz entgegenstellen will. Aber dies nicht ohne einen kritischen Rückblick auf die Historie der eigenen Sammlung, die – in der Kolonialzeit wurzelnd – zum großen Teil das Ergebnis territorialer Expansion seitens deutscher Soldaten, Beamter, Missionare, Händler und Forscher sei. Allen voran Wilhelm Joest, der im 19. Jahrhundert alle Kontinente bereiste und sammelte, was ihm in die Finger kam: Um die 3500 Stücke, die den Grundstock des Kölner Bestandes bilden: ein Sammeln in Masse.
Die Ausstellung zeigt, dass es auch anders geht. Etwa, wenn sie das Museum selbst als Ort der wissenschaftlich forschenden Begegnung mit fremden Kulturen auf den Prüfstand stellt. Oder wenn sie äußerst effektvoll die Annäherung auf ästhetischer Schiene inszeniert. In Dämmerlicht und eigens entwickelten Vitrinen wirken die Kunstwerke für sich – zunächst. Erst nach Berührung des Schildchens scheinen im Hintergrund erläuternde Texte und Fotos auf, die es in seinem ursprünglichen Kontext zeigen, um kurz darauf wieder spurlos zu verschwinden.
Lauter Entdeckungen: Man lugt durch Schlitze, riecht an Fläschchen, vernimmt fremde Klänge, folgt Interviews, schreitet aus der Dunkelheit durch weiße Fadenvorhänge ins gleißende Weiß des Jenseits, um auf federndem Turnhallenboden zu erfahren, wie fremde Kulturen mit ihren Toten umgehen.
Gegen Ende beeindruckt die Schau mit einer Fülle fremder Masken und Kostüme. Darunter zwei sakrale Beispiele aus Bali, die Engelhard dort eigens fürs Museum hat schnitzen lassen: ein antagonistisches Paar, das den ständigen Kampf zwischen guten und bösen Mächten verkörpert. In Köln ist das Hin und Her nun vorüber. Und man kann wohl sagen – das Gute hat gesiegt. Zumindest mit Blick ins Museum Schnütgen, ins Rautenstrauch-Joest-Museum und ganz besonders auf den Reisspeicher aus Sulawesi.
Rautenstrauch-Joest-Museum, Museum Schnütgen, Cäcilienstraße 29-33, Köln. Rautenstrauch-Joest-Museum, Tel. 0221/221-31356 Museum Schnütgen, Tel 0221/221-22310. www.museenkoeln.de