// Es gibt Stücke, die lange schlummern, bis eine neue Wirklichkeit sie weckt und reaktiviert. »Treppe nach oben« von Tennessee Williams ist ein solches Stück. Mehr als sechzig Jahre hat die »soziale Komödie über einen schlecht bezahlten Angestellten, der seinem ökonomischen Käfig entrinnen möchte«, warten müssen, ehe das Theater an der Ruhr sie erstmals auf deutsch spielt. »Treppe nach oben« erzählt von jungen Leuten, die sich nicht abfinden wollen mit den eintönigen, unterfordernden Jobs, die der Markt für sie übrig lässt: Seit acht Jahren arbeitet Benjamin Murphy in einer Hemdenfabrik, seine Erwartungen an das Leben aber sind andere. Schon aus der bedrückenden Arbeitsmonotonie hinaus aufs Dach der Fabrik zu steigen, erfährt er als Befreiung. Doch es ist auch ein Schritt ins Leere. Von Mr. Gum, seinem Boss, dem er seine Frus-tration gesteht, erst einmal hingehalten, trifft Ben das (namenlose) Mädchen, dem es ähnlich ergeht: Seinem Chef, einem Anwalt, hat es einen Liebesbrief geschrieben, den es zurückholen will, bevor er geöffnet wird – auch so eine vage Sehnsucht, die es an die Luft zu setzen droht. Über ihre Träume finden die beiden zusammen und durchreisen eine Nacht, in der sie andere Möglichkeiten und Identitäten erfahren.
Ein tiefer, von Gitterstäben flankierter Raum, in dem zehn Arbeiter ihre Nähmaschinen traktieren: An der sozialkritischen Setzung des Bühnenbildners Gralf-Edzard Habben hält die Inszenierung von Roberto Ciulli lange fest, um sie nach und nach zu verrücken. Der Raum wird Käfig, Zoo, Jahrmarkt, Zirkus, Gefängnis und, da das Mädchen als Alice angesprochen wird, zu einem Wunderland, in dem die beiden tanzend in den Schwanensee fallen, »Die Schöne und das Biest« nachspielen oder Ben und ein Nebenbuhler sich in hündischen Ritualen der Unterwürfigkeit ergehen. Wie Steffen Reuber als in seiner Weichheit kräftiger Benjamin Murphy und Simone Thoma als facettenreich zwischen ausgehungertem Sterntaler und graziler Salonschlange stolzierendes Mädchen das an der Spitze des Ensembles spielen, wie Ciulli es poetisch verdichtet und surreale Bilder baut, macht aus dem versponnenen Stück auch eine kleine, farbig glänzende Apologie der Szene. Viele Motive und Figuren kehren wieder, die das Zitatenschatzhaus von Ciullis Theater füllen. So feiert es, mehr als der Anlass nahe legt, vor allem sich selbst. // ARO