TEXT NICOLE STRECKER
»Wow, hat die sich gut gehalten.« Und: »Für über 40 tanzt der aber noch ziemlich gut!« Es gibt Komplimente, die würde man gern überhören – positive Diskriminierung. Aber als Tänzer geht das schon mit Mitte 30 los. Wer dann noch mädchenhaft auf Spitze tanzt, als Mann die Damen ohne erkennbares Bandscheiben-Leiden lupft, hurtig wie ein Jungspund über die Bühne spukt, dabei aber doch erkennbar einen sehnigeren Körper, weniger Taille, flachere, kantigere Konturen hat, der muss mit altersbezogener Anerkennung rechnen. Im Idealfall. Wenn es schlecht läuft, bereitet der jeweilige Chef schon den Ausstieg aus der Kompanie vor.
»Alle erwarten, dass wir ein Stück machen über das Alter«, seufzt Christopher Roman: »Wie langweilig.« Seit acht Monaten ist der langjährige Forsythe-Tänzer künstlerischer Leiter eines Pilotprojekts: »Dance On«, eine Kompanie für Tänzer ab 40 Jahren, ins Leben gerufen von der Berliner Tanzlobbyistin Madeline Ritter, gefördert mit Mitteln des Bundes. Jetzt ist Roman also mit gerade mal 46 Jahren gemeinsam mit fünf weiteren Tänzern offiziell ein »Senior«. Zwei Jahre hat er Zeit, das Demografie-trendige Label von der »Alten-Kompanie« zu transformieren.
»Wir wollen relevant sein im Diskurs der Tanzszene. Und ich möchte, dass die Menschen erkennen, dass nur Tänzer mit unserer Erfahrung und den bereits gelebten Karrieren diese spezifische Qualität erzeugen können.« Ein wirkliches Repertoire gibt es nicht für diese Tänzer, auch wenn sie längst nicht mehr absolute Ausnahmeerscheinung sind und etwa schon Pina Bausch in Wuppertal, Jiři Kylián erst mit dem NDTIII, dann mit den »Kylworks« in den Niederlanden oder Egon Madsen mit seinen »Greyhounds« in Stuttgart den Golden Agers neue Möglichkeiten boten und bieten. Ein exemplarisches Œuvre könnte also auch Aufgabe der neuen »Dance On«-ler sein. Allerdings reüssierten auch sie zunächst mit einem Abend, der vor allem die spezifischen Talente der Tänzer präsentierte: »7 Dialogues«. Sieben Künstler kreierten für jeweils einen Tänzer ein individuelles »Porträt«.
Darunter etwa der Regisseur Tim Etchells, der Londoner Hetain Patel und der bulgarische Performance-Star Ivo Dimchev, der in einem gelungenen »Match« mit Christopher Roman eine schrullige Burlesque-Nummer entwickelt hat. Roman mit goldblonder Perücke und kirschrotem Kussmund als immerzu hysterisch schluchzende und über Sex, Geld und Politik plappernde Marilyn Monroe, der die Girly-Posen gelegentlich ins Obszöne verrutschen. Lustig abgewracktes Startum und ein Wunder an »Multi-Tasking-Kunst« für den Performer. Nervtötend genial!
Als junger Tänzer, sagt Roman, hätte er niemals den Mut gehabt zu dieser Travestie. Damals schwärmten die Ballettmeister von seinem perfekten Danse-d’école-Körper: der Spann in den Füßen, die Schlankheit, die Auswärts-Drehung. Eine »Stradivari«, schwärmte man. Für Roman hieß das: gebrocheneZehen, Hüft- und Knie-Operationen, Bänderrisse, Dauerschmerzen. »Eine Stradivari klingt furchtbar, wenn sie nicht richtig gestimmt ist und nicht die optimale Temperatur hat.« Man begreift, weshalb Roman mit nostalgiefreier Nüchternheit auf seine steile Karriere zurückblickt. Der Preis für das Weltformat war hoch. Erst jetzt, als reifer Tänzer, habe er gelernt, sein Instrument gut zu behandeln.
Drei Produktionen hat die Kompanie in den letzten Monaten mit unterschiedlichen Choreografen kreiert, an einer vierten arbeitet Christopher Roman derzeit: ein Duo, das sein ehemaliger Chef William Forsythe für ihn und die Tänzerin Jill Johnson choreografiert. Eine Befragung ihrer Beziehung zueinander soll Thema der Produktion sein, intim und, ja, vielleicht doch ein bisschen retrospektiv. Gutes Altern sei eine Frage von kluger »Exklusion und Inklusion«, sagt Roman und meint das ebenso körper-pragmatisch wie gesellschaftspolitisch. Saugt das Wissen der Senioren auf, lautet die Mission von »Dance On«. Lasst sie weitertanzen!
28. bis 30. Oktober 2016, Tanzhaus NRW Düsseldorf: 28. Okt. »Untitled Duo« von William Forsythe & »7 DIALOGUES« von Matteo Fargion, 29. Okt. »Untitled Duo« & »Those specks of dust« von Kat Válastur, 30. Oktober »Water between three hands« von Rabih Mroué.