// Heutzutage sieht Kleinbürgerkritik, ob von Kabarettisten oder von Dramatikern, meist aus wie die Karikaturen von Manfred Deix: Sie präsentiert grinsende Fleischwürste ohne Seele. Zu Ödön von Horváths (und Brechts und Fleißers) Zeiten aber wusste man noch, dass im Hausmeister der Blockwart lauert und im gefallenen Mädchen eine Stuart weint. – Womit schon viel über Intendant Elmar Goerdens Inszenierung von Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald« gesagt ist: Dem Stück von 1931, das die Geschichte des »ungelernten« Mädchens Marianne erzählt, die der unerbittlichen Zuneigung des Fleischhauers Oskar zu entkommen sucht, indem sie sich dem Hallodri Alfred an den Hals wirft; von ihm ein Kind kriegt, das Kind verliert, sich prostituiert, ins Gefängnis wandert und am Tiefpunkt ihres Werdegangs genau da landet, wo sie hergekommen ist: in der kleinen Straße mit den kleinen Läden und in den Armen Oskars.
Die Drehbühne im Bochumer Schauspielhaus (Silvia Merllo, Ulf Stengl) zeigt den Aldi-Charme einer heutigen Kleineleutewelt, hart an der Unterschicht. Die Aktualisierung schadet nicht, Horváth ist hoch-und-Hartz-aktuell. Schaden wächst der Aufführung von woanders zu, sämtliche Figuren nämlich sind – nun, Deix-Figuren: Grell wie Alfreds Mutter und Großmutter (Martina Eitner-Acheampong, Renate Becker), kasperltraurig wie Mariannes Vater (Burghart Klaußner), peinlich wie Alfred (Uwe Bohm). Ihnen fehlt die Seele – Angst und Abgrund –, die auch der Schlimmste hat und um die Horváth seine Figuren meisterlich herumbaute. Und weil sie fehlt, obwohl sie sein muss, entsteht – Langeweile. Dreieinhalb Stunden für ein gefahrloses Hin und Her, das ist zu viel. Und übrigens: Einer Marianne (Katja Uffelmann), die tough ist wie eine Jurastudentin, der glaubt man einfach nicht, dass sie sich einem Eckkneipengigolo wie Alfred vor die Füße wirft. // UDE