Das Motto des Films stammt von Oscar Wilde. Jeanne Moreau hat es als Madame Lysiane gesungen in Fassbinders letztem Film »Querelle«: »Each man kills the thing he loves.« Auf Deutsch und mit einem Zitat aus einem anderen Film von Rainer Werner Fassbinder würde der Satz heißen können: »Eine Liebe, das kostet immer viel.« 1982 ist das Genie des Neuen Deutschen Films mit nur 36 Jahren gestorben. Gearbeitet hatte er nach der Devise: »Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.« Aber er lebt. Das Werk ist präsent – in den restaurierten Filmen, auf der Bühne, weltweit in Museums-Ausstellungen und Akademien dank der RWF Foundation. Er wollte, dass sein Name neben denen von Orson Welles, Raoul Walsh, Douglas Sirk und Godard steht. Das tut er.
Fassbinders Filme erzählen von den Träumen der Menschen und wie sie kaputt gehen – die Träume und die Menschen, an der Lüge und der Ausbeutung des Gefühls. Fassbinder machte Hollywood-Kino über die deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik, von Effi Briest bis zur RAF, von Lili Marleen zu Lola, Filme über Frauen wie Martha, Petra von Kant, Elvira Weishaupt, Maria Braun und Veronika Voss und Filme über Männer wie den Franz Biberkopf aus »Berlin Alexanderplatz« und in vielerlei anderer Gestalt.
Oskar Roehlers »Enfant Terrible« ist auferstanden aus gemalten Kulissen-Ruinen. Sie sind nicht artifiziell wie in RWF’s Jean-Genet-Verfilmung, sondern mehr so wie Bad Segeberg, wenn Wally Bockmayer dort die Karl-May-Festspiele inszeniert hätte. Das ebenso als Hommage wie als Demontage funktionierende Biopic wirkt eher komisch, angeschmuddelt und – ob absichtsvoll oder unfreiwillig – dilettantisch. Sähen die Filme Fassbinders so aus, wie die Methode ihres Entstehens und ihr Stilvermögen bei Roehler es suggerieren, stünde jedenfalls sein Name nicht neben denen von Fritz Lang, Welles, Sirk und Godard. Die Besetzung ist perfekt: der geschniegelte Kurt Raab (Hary Prinz), der schöne Ulli Lommel, (Lucas Gregorowicz), die schläfrige Schygulla, die von fern vertraute Ingrid Caven (Katja Riemann), der athletische, aber fade Günther Kaufmann, Isolde Barth als Mutter Lilo – und Oliver Masucci als RWF, verschwitzt mit Seehundschnäuzer und Wampe in schwarzer Lederjacke.
Die Episoden reihen sich von Anfang an: 1967, Action-Theater in München, der erste Spielfilm »Liebe ist kälter als der Tod«, schräge Dreharbeiten, Männer-Sex, fatale Liebe und Koks, seine Allmachtfantasien und gepeinigte Weihleidigkeit, Unterwerfung und Abhängigkeit, die Freunde El Hedi, der in »Angst essen Seele auf« neben Brigitte Mira (gespielt von Eva Mattes mit lispelndem Gebiss) vor der Kamera steht, und Armin, die sich beide umbringen, die Bleierne Zeit von Deutschland im Herbst, Rudi Schuricke, der von den Caprifischern singt, der Bubis-Skandal am Frankfurter TAT… – So war das damals in der BRD. Oder so ähnlich. Vieles fehlt und geht wild durcheinander – aber wer wollte hier die Wahrheit beschwören! Aufs Ganze gesehen: ein irrer Geniestreich. Aber durch ‚Genie’ machen wir einen Strich. Übrig ist: der Streich.
»Enfant Terrible«, Regie: Oskar Roehler, D 2020, 134 Min., Start: 1. Oktober