TEXT: STEFANIE STADEL
Es gebe schon merkwürdige Situationen, sagt er. Und meint nicht zuletzt genau diese – an jenem sonnigen Sonntag Mitte Juni im dunklen Depot des Schauspiels Köln. Da sitzt Gregor Schneider, nicht groß und eher zierlich, im Rampenlicht neben einer namhaften Kunstkritikerin. Sie stellt die Fragen, und der Künstler gibt darauf nach oft ziemlich langen Pausen weit ausholende Erklärungen zur Antwort.
Die Rede ist von Rheydt, wo er 1969 zur Welt kam und inzwischen ein ganzes »Immobilienimperium« sein Eigen nennt. Von Schneiders großer Obsession, dem über viele Jahre anscheinend end- und ziellos, um- und ausgebauten »Haus u r«. Auch über ein paar Skandale wird an diesem Vormittag gesprochen. Über Ausstellungen, die nicht stattgefunden haben. Über Tote im Keller und ein heiß diskutiertes Zimmer für Sterbende.
Anlass für Scheiders Besuch in Köln und die Matinee vor zahlreichem Publikum ist sein großes Projekt für das Schauspiel. »Neuerburgstraße 21«, so der Titel und gleichzeitig der Ort des Kunstgeschehens – Kölner Theaterpublikum sicher besser bekannt als »Halle Kalk«. In den vergangenen sechs Monaten war Schneider dort in der alten Produktionshalle mal wieder als rätselhafter Räume-Bauer aktiv. Nur wenige Tage noch, dann werden die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Doch darüber erfährt man kaum etwas bei der Fragestunde im Depot.
Das Schauspiel habe ihm keine Vorgaben gemacht – »das ist natürlich ein Geschenk«. Das ist alles, was er preisgibt. Er wolle nichts vorwegnehmen, so erklärt er die Verschwiegenheit. »Denn je weniger man von der Arbeit vorher weiß, desto stärker ist die Erfahrung.« Und überhaupt sei es eigentlich sowieso immer das gleiche, was er mache: »Es ist gar nicht so, dass der Künstler Ideen sammelt, etwas erfindet. Es ist vielmehr so, dass eine Wand vor die Wand gesetzt wird, eine Decke unter die Decke, ein Boden über den Boden, ganze Räume in Räume.«
Na gut, denkt man sich und verschiebt die eigene Neugier auf die Verabredung am Nachmittag – vielleicht wird Schneider dann ja etwas mehr verraten über die Hintergründe seiner aktuellen Projekte in Köln und anderswo. Diesen Sommer ist der berühmte Eigenbrötler aus Mönchengladbach-Rheydt immerhin gleich an drei Orten in NRW mit neuen Arbeiten präsent. Neben der »Halle Kalk« stehen die Synagoge im nahen Stommeln und das Duisburger Lehmbruck Museum auf der Agenda. Was den Künstler offensichtlich hoch erfreut – die Zufriedenheit scheint ihm geradezu ins Gesicht geschrieben.
Es ist Nachmittag geworden, und die Bühne im dunklen Depot hat Schneider längst verlassen. »Etwas schlapp« sitzt er vor den Schauspielhallen zwischen dem ebenso schlappen Grün im Carlsgarten – jener in Hochbeeten aus gestapelten Bäckerkisten angelegten »Oase«. Gut gebräunt blinzelt Schneider in die Sonne. »Ich freue mich, dass mich die Theaterwelt unterstützt. Sie hebt mich quasi wieder zurück in die Kunstwelt«, sagt er. Fühlt Schneider sich etwa vernachlässigt von den Museen? »In der Kunstwelt habe ich mir ein paar Sympathien verspielt«, bemerkt er dazu. Die vielen abgesagten Ausstellungen und die schlechte Presse in den letzten Jahren seien »ausstellungsstrategisch nicht förderlich« gewesen.
Besonders mit seinem schwarzen »Cube« hatte der Künstler Probleme. Nicht nur in Venedig, wo er den Würfel zur Biennale 2005 auf den Markusplatz legen wollte. Auch in Berlin kam er nicht an mit dem schwarzen Ding. Die Assoziation zur Kaaba in Mekka, dem Hauptheiligtum des Islam, lag wohl zu nahe, allenthalben war die Rede von Terrorgefahr. 2008 dann sorgte Schneider ein weiteres Mal für ziemlichen Wirbel, als er ein »Sterbezimmer« baute und in einem Interview von der Möglichkeit sprach, tatsächlich einen Sterbenden dort zu zeigen. Das alles scheint ihn noch sehr zu beschäftigen, auch wenn es inzwischen einige Zeit zurückliegt.
Was ist mit den aktuellen Projekten? Davon spricht der Künstler eher in Rätseln: »Das, was ich vorher in Räumen gemacht habe, versuche ich bei der Synagoge in Stommeln nun von außen.« Ziel sei es, so Schneider, das Haus zum Verschwinden zu bringen. »Man wird die Synagoge nicht mehr finden.« Und der Beitrag für die Ruhrtriennale? »In Duisburg wollen wir das Lehmbruck Museum in ein anderes Kunst-Museum verwandeln.«
Erst einmal ist nun aber Köln dran. Am folgenden Tag erwartet der Künstler in seinen »Gebauten Räumen« an der Neuerburgstraße 21 voll Spannung die Bauaufsicht. Ein Apparat, der ihm das Künstlerleben offenbar immer wieder schwer macht: Man habe, so sagt er, mit etlichen Vorschriften und deshalb auch mit Unwägbarkeiten zu tun. »Ein Künstler, der das Raum-Experiment sucht, findet das Bauaufsichtsamt eben diktatorisch«, erklärt Schneider und plädiert für die Freiheit der gebauten Raum-Kunst von den Maßgaben solcher Ämter.
Sie sind sicher ein Grund dafür, dass der Künstler sein großes Glück weiterhin im privaten Raum sucht. »Man kann einfach loslegen, etwas machen, muss niemanden fragen«. Schneider weiß, wovon er spricht. Hat er diese absolute Freiheit doch lange genug genossen bei seiner Kärrnerarbeit in »Haus u r«. Allerdings hat er dabei auch ihre weniger angenehmen Seiten kennen gelernt. In den Augen der Leute sei man entweder faul oder arbeitslos, wenn man so komplett außerhalb der Kunstwelt vor sich hin werkele. Werde gar bedauert, weil man ja sehr viel Energie und Zeit und Geld in einen Ort stecke, der niemanden interessiere.
Räume bauen sei deshalb kein Konzept, das er jungen Künstlern empfehlen würde, bemerkt Schneider, der inzwischen als Professor an der Akademie in München lehrt. Dagegen sprechen nicht nur die diktatorischen Bauvorschriften, sondern auch Museen, die ihn an Hochsicherheitstrakte oder Edel-Boutiquen erinnern und sich vor allem für Malerei oder Fotografie eigneten. Er selbst hegt große Zweifel daran, dass seine Zukunft wirklich in der Museumswelt liegt.
Schneider hat Auswege gefunden. Notgedrungen ist er zum größten Sammler der eigenen Kunst geworden. In seinen Häusern und Hallen lagern um die hundert Räume. Und wenn er sich mal wieder etwas mehr Unabhängigkeit wünscht, dann leistet der Künstler er sich halt ein neues Haus. Wie unlängst in Rheydt, wo das durchaus erschwinglich sei.
Noch 2014 will Schneider die in aller künstlerischer Freiheit bearbeitete Immobilie eröffnen, allerdings nicht fürs große Publikum – dagegen sprechen die erwähnten Bauvorschriften. Nur einzelne Gäste wird er hineinführen können. Was erwartet sie? »Ein komplett aufgegessenes Haus«, auch dazu verrät er nicht mehr an diesem Sonntag.
Ein paar Tage später hat die Geheimniskrämerei ein Ende – nicht in Rheydt, aber in der Neuerburgstraße 21. Offenbar hat die Bauaufsicht grünes Licht gegeben. Und so darf Schneider die ersten Gäste einlassen – durch eine kleine Hintertür, neben der ein Lämpchen mit der Hausnummer brennt. Das Personal passt auf, dass sich keine Paare oder Grüppchen bilden. Denn Teil des Kunstwerks ist, dass man es ganz allein erlebt und die Notausgänge nur benutzt, wenn es sein muss.
Was soll das heißen? So fragt man sich leicht beunruhigt, wenn sich die Tür hinter einem schließt und man nun also einsam in der Dunkelheit steht. Vorsichtig tastend schiebt man sich voran, bis die Nase gegen eine weiche Filzwand stößt. Weiter geht es rechts um die Ecke. Ein paar Schritte nur, und man ahnt Licht hinter einer weißen Tür. Durch Spalten und Schlüsselloch scheint es in den dunklen Gang und lockt zum Eintreten. Wenige Augenblicke später steht der Besucher in einem gekachelten Raum, ein Badezimmer vielleicht, das sich wohl noch im Bau befindet.
Die Duschkabine in der Ecke ist schon installiert, auch ein Spiegel hängt an der Wand und die schmucklose Leuchte unter der Decke sorgt für helles Licht, das dem entwöhnten Auge fast grell erscheint. Es fehlen noch Waschbecken und Toilette, das dicke Rohr dafür ragt neben der Duschkabine aus der Wand.
Genug gesehen. Eine zweite Tür führt hinaus aus dem unwirtlichen Raum, wieder tritt der Besucher ins Dunkel, tastet sich an weichen Wänden entlang, nimmt einen Lichtschein wahr, öffnet eine Tür – und steht in einem Raum, der haargenau so aussieht wie der erste. Man schaut in den Spiegel. Man knipst am Lichtschalter herum, doch die Birne brennt weiter. Auch der Versuch, die Türe der Duschkabine beiseite zu schieben, bleibt erfolglos.
So geht es immer weiter, scheinbar unendlich. Nach dem elften oder zwölften oder dreizehnten Badezimmer hat man aufgehört zu zählen. Sucht vielleicht noch nach Spuren auf den weißen Fliesen. Lauscht, ob da nicht doch etwas zu hören ist – Schritte, ein leises Husten, eine Tür, die sich öffnet oder schließt? Aber nichts.
Kein Mucks, keine Dramaturgie, keine Entwicklung, kein Spannungsbogen, keine Erkenntnis. Nur weiche Wände, die alles schlucken, jedem Druck nachgeben. Und immer noch ein kahles, grelles Bad. Wann hört das endlich auf? Oder sind es vielleicht immer dieselben Räume? Wird man am Ende gar im Kreis herumgeführt?
Nein, da kommt eine Tür, die etwas anders ausschaut als die zig Badezimmertüren davor. Schnell hin und raus. Wie schön es doch ist, auf den weiten Platz vor der Halle zu treten, die Sonne zu sehen und spielende Kinder zu hören. Schneider hat Recht – es gibt schon merkwürdige Situationen. Und er ist ein Meister darin, sie zu inszenieren.
Halle Kalk, Schauspiel Köln, »Neuerburgstraße 21«, bis 7. September 2014, Karten unter www.schauspielkoeln.de
Synagoge Stommeln, »Hauptstraße 85a«, ab 4. Juli 2014
Ruhrtriennale, Museum Bochum, »Totlast«, 29. August bis 28. September, Karten unter www.ruhrtriennale.de