Warum die Welt »Byte FM« braucht, merkt man spätestens im Stau. Das Autoradio spielt an diesem Nachmittag One Republic, dann Reamonn. Zapp. Station 2: Werbung. Zapp. Station 3: Comedy-Einspieler, die selbst Mario Barth peinlich wären. Gut möglich, dass die Idee zu Byte FM in einer Situation wie dieser entstanden ist.
Einer, der es wissen muss, ist Oliver Stangl. Er ist seit der Gründung des Internet-Radios dabei. Er wohnt in Hamburg, pendelt aber mehrfach die Woche nach Bochum, um die NRW-Kollegen zu unterstützen. Mit seiner besonnenen Aura wirkt Stangl wie jemand, den Freunde gerne um Rat fragen. Kein Typ jedenfalls, der andere schlechtredet, um besser dazustehen. Auch keine Mainstream-Radiostationen. »Wir wollten einfach einen Sender, auf dem das stattfindet, was uns interessiert, und wo nicht automatisch das läuft, was wir schon kennen«, sagt Stangl bescheiden. Das klassische Radiomodell schied aus, zu teuer. Blieb das Internet. Anfang 2008 ging Byte FM in Hamburg auf Sendung, die Idee stammte von Ruben Jonas Schnell, einem Musikjournalisten, der unter anderem für den NDR arbeitet. Stangl, der in mehren Bands spielt, war Gründungsmitglied Nummer zwei. Schnell musste ihn nicht lange überreden.
Was die Berufsgruppen angeht, unterscheidet sich die Belegschaft der ersten Stunde nicht wesentlich von der heutigen Crew. Musikjournalisten und Musiker – aus den zwei Berufsgruppen rekrutiert sich ein Großteil der mehr als 80 Byte-FM-Moderator(inn)en und DJs. An Kompetenz mangelt es dem Sender ganz sicher nicht. Mit Klaus Fiehe und Klaus Walter sind zwei Mitarbeiter dabei, die man getrost als Radiolegenden bezeichnen kann, aber auch die jüngeren Stimmen von Byte FM sind vom Fach und wissen, wovon sie reden.
Byte FM ist ein klassischer Autorensender, die Playlist bleibt den Moderatoren überlassen. Quoten spielen keine Rolle, weil der Sender nicht von Werbung abhängt und auch nicht Teil des öffentlich-rechtlichen Systems ist. »Was nicht heißt, dass wir mit Byte FM nicht so viele Menschen wie möglich erreichen wollen«, meint Stangl. Die einzelnen Sendungen decken unterschiedlichste Popformate ab: Indie, HipHop, Clubmusik, Country und Folk. Die Grenzen sind nicht immer klar gezogen, die Formate mit »Schnittmengensounds« sind in mancher Hinsicht am spannendsten, weil es dort am meisten zu entdecken gibt. Stangl formuliert es so: »Musikradio ist für mich dann gut, wenn ich jederzeit einschalten kann und mir etwas kompetent vorgestellt wird, das ich bis dahin noch nicht kannte. Dabei muss es noch nicht einmal unbedingt meinen Geschmack treffen, aber es muss mein Interesse wecken.«
In diesem Punkt spielt Byte FM auch seine Stärke gegenüber der Internetkonkurrenz aus, besonders gegenüber »Last.fm«. Als Mischung aus social network und Musiksender generiert Last.fm eine Playlist aus den eigenen Vorlieben und den Empfehlungen von ähnlich gepolten Mitgliedern. Das macht durchaus Spaß, führt allerdings dazu, dass man irgendwann nur noch in der eigenen Suppe schwimmt. Wer Überraschungen sucht, ist bei Byte FM besser aufgehoben.
Davon abgesehen, lebt der Sender von seinen individuellen Stimmen. Anders ausgedrückt: Byte FM überträgt die altmodische Idee eines Autorenradios auf ein neues Medium. Das macht einen Großteil des Charmes aus, hat aber auch handfeste praktische Seiten. Bei der Flut der weltweiten Musikveröffentlichungen ist die Rückkehr des Moderators, der die Hörer an die Hand nimmt, Hintergründe und Geschichten zu der Musik erzählt, vielleicht zeitgemäßer und sinnvoller als vieles andere im Netz.
Das macht sich bemerkbar – in Form von 20.000 Hörern am Tag und fast 5.000 Freunden bei Facebook. Finanziell leider weniger, zumindest bisher. Zwar gibt es einen Hauptsponsor und ein wenig Geld durch die Verlinkung zu Online-Musikhändlern wie iTunes und Amazon, die Produktionskosten werden damit allerdings nicht gedeckt. Und das, obwohl sämtliche Mo-deratoren ehrenamtlich arbeiten. Die Finanzierung sei noch eine große Herausforderung, gibt Stangl zu. Auf Werbung im Programm möchte das Team weiterhin am liebsten verzichten. Ob sich das durchhalten lässt, muss sich noch zeigen. Byte FM steht vor der paradoxen Situation, ein hochgelobtes und gefragtes Produkt zu bieten, für das sich bisher trotzdem noch keine schlüssige Geldquelle gefunden hat. Und so ist der Sender ein Paradebeispiel dafür, wie die Umsonstmentalität das Netz um relevante Inhalte zu bringen droht. »Es muss eine neue Wertigkeit vermittelt werden«, sagt Stangl. Er meint ein Gespür für den Wert kreativer Arbeit – die seiner Kollegen und natürlich auch die der Musiker, deren Stücke Byte FM spielt. Dabei geht es nicht mal um Gewinn, sondern um Kostendeckung.
Das gerade erst gegründete NRW-Studio steht jedenfalls auf der Kippe. Die Zweigstelle in Bochum ist ein Förderprojekt von Ruhr 2010. Technik und Mobiliar wurden gestellt, auf der Rückseite des Moderatorenstuhls klebt als Erinnerung immer noch das Schild seines alten Besitzers: Herr Dorn, Stadt Bochum. Ob das Studio nach dem Jahr der Kulturhauptstadt weitergeführt wird, steht noch in den Sternen. Dabei funktioniert das Bochumer Byte FM als Sprachrohr der regionalen Szene ausgesprochen gut. In der Sendung »Mixtape« kamen und kommen Kulturschaffende aus ganz NRW zu Wort und stellen ihre Projekte vor. Kuratoren vom Museum Folkwang waren hier ebenso zu Gast wie lokale Bands und Labelbetreiber. Ihre eigene Musik durften sie auch noch mitbringen.
Eine Lösung des Finanzierungsproblems könnten die »Freunde von Byte FM« sein. Für 50 Euro im Jahr (bzw. 30 bei Schülern und Studenten) wird man offizielles Mitglied im Förderverein. Damit sichert man nicht nur den Fortbestand des Webradios, sondern erhält auch Zugang zum Sendearchiv und kann an speziellen Aktionen und Verlosungen teilnehmen.
Unabhängig davon muss man sich die Frage stellen, ob in ganz NRW kein Topf existiert, aus dem ein gerade mal 40 Quadratmeter großes Studio mit bescheidenen Miet- und Personal-kosten gefördert werden kann. Ein ähnlich gutes Preis-Leistungs-Verhältnis wird man kaum sonst im Land finden.