»Ich liebe alle Punkte. Mit vielen Punkten bin ich verheiratet« – das ist eine von zahlreichen Bemerkungen, mit denen Sigmar Polke das Publikum amüsierte. Denn Ironie begleitete sein Werk von Anfang an. Ebenso besagte Punkte, die für den 2010 verstorbenen Künstler beinahe so etwas wie Markenzeichen waren. In den 1960er Jahren tauchten sie erstmals auf. Denn schon als Student an der Düsseldorfer Kunstakademie fand Polke Interesse an massenmedial verbreiteten Bildern seiner Zeit, die er sich in akribischer Handarbeit Punkt für Punkt zu eigen machte. Und das war nur der Anfang.
Das Übertragen und Stören, das Transformieren und Umcodieren vorgefundener Bilder wurde zur lebenslangen Praxis für Polke, der bald noch ganz andere Quellen und Wege der Aneignung auftat. Seine Werke spielen mit der Lust an der Täuschung durch Bilder und hinterfragen dabei auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Medien die Wirkmacht von (manipulierten) Bildern. Die Kurator*innen von der Anna Polke Stiftung und der Kunsthalle Düsseldorf nennen es »produktive Bildstörung«.
Zum 80. Geburtstag des Künstlers haben sie gemeinsam eine Ausstellung eingerichtet, die nicht nur zurückschauen will, sondern auch und vor allem nach vorn. Sie zeigen Polke als Ideenstifter. Das passt, denn sein Umgang mit vorgefundenem Material macht ihn besonders interessant für unsere digitale Gegenwart. Mit ihrer Überfülle an Bildern, die entstehen, zirkulieren und wieder verschwinden. Darstellungen, von denen keiner mehr weiß, ob sie wirklich sind, manipuliert oder virtuell.
»Bilderstörer« aus der zeitgenössischen Kunst
In der Kunsthalle Düsseldorf kommen neben dem Jubilar acht zeitgenössische Künstler*innen zusammen, allesamt »Bilderstörer«. Wie Polke spielen sie mit der Täuschung und hinterfragen dabei auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Medien die Macht manipulierter Ansichten. Zu den »Bilderstörern« von heute zählt etwa der US-Fotograf Trevor Paglen mit seinen entrückten Himmelsszenen, die an die Malerei eines William Turner erinnern könnten. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man die Störenfriede – vermeintliche Fehler oder Flecken im Foto, die sich als Drohnen entpuppen.
Oder Camille Henrot. Eigens für die Ausstellung hat die Französin neue Arbeiten geschaffen, in denen sie Malerei, digitale Collage und diverse Drucktechniken kombiniert. Auf mehreren Ebenen überlagern sich fotografische und technisch produzierte mit gemalten oder digital erzeugten Pinselstrichen, die kaum mehr auseinanderzuhalten sind. Auch die Quellen verwirren – Bilder aus Überwachungs-Apps treffen da etwa auf Aquarelle nach Ultraschallaufnahmen.
Offen für alles, das war auch Polke. Bilder und Texte aus ganz unterschiedlichen Kontexten fanden Eingang in seine Werke: Zeitung, Märchen, Comic, Porno, Schulheft, Kochbuch, Werbetafel… Ähnlich verfährt der israelische Künstler Seth Price, wenn er die über 20.000 Jahre alte Darstellung eines Pferdes aus den Höhlen von Lascaux mit einem Still aus dem Exekutionsvideo islamistischer Terroristen kombiniert und das Ergebnis auf transparente Folie druckt.
Für die Kunststiftung NRW ist es ein zentrales Anliegen, aktuelle künstlerische Positionen rückschauend mit etablierten Werken zu verbinden. Aus diesem Grund unterstützt die Stiftung das Polke-Jubiläumsprojekt.
https://www.kunststiftungnrw.de
KUNSTHALLE DÜSSELDORF
13. NOVEMBER BIS 6. FEBRUAR 2022