»Beziehungen, auf die wir uns verlassen können, sind die beste Waffe gegen den Kapitalismus«, sagt Eva Busch. Sie gehört zum harten Kern aus acht Personen, die den Vorstand und andere zentrale Rollen im Verein von »atelier automatique« übernehmen. Insgesamt 23 Mitglieder sorgen mit ihren monatlichen Beiträgen dafür, dass die zwei großen Kunst- und Arbeitsräume an der Bochumer Rottstraße finanziert werden können. Einer war früher ein Kiosk – seine automatische Schiebetür könnte die Namensgeberin für den Ort gewesen sein.
Die 23 Mitglieder sorgen auch für ein weit reichendes Beziehungsgeflecht, das junge – und mittlerweile auch ältere – Menschen umfasst, die im Kunst-, Theater-, Literatur-, Musik- oder Medien-Bereich tätig sind. Im Raum, der früher ein Kiosk war, arbeiten sie an Laptops, proben Stücke, drehen Streams, hängen Ausstellungen, führen Stücke oder Performances auf, veranstalten Lesungen oder Filmabende oder ein Streikfrühstück zum Internationalen Weltfrauentag.
Der Raum direkt daneben, der über einen Hinterhof mit dem Ursprungs-Atelier verbunden ist, hat einen eigenen Namen: »fabrique automatique«. Hier wird gewerkelt, gebastelt, ausprobiert – zum Beispiel an Bühnenbildern für freie Theater-Produktionen oder als Teil der neuesten Atelier-Idee: das Festival »Murx – Repariert, was euch kaputt macht«, das an mehreren Tagen im August 2021 den Trend der Repair-Café-Bewegung aufgenommen hat.
Organisiert hat »Murx« Josefine Rose Habermehl, die auch zum Vereinskern gehört und nach ersten Schritten im Theaterbetrieb noch einen Master in Angewandter Nachhaltigkeit studiert hat. »Wir sind hier alle freiberuflich Beschäftigte«, sagt sie über die Gruppe, die das Atelier trägt. »Ich selbst bin gar nicht so oft hier, aber es ist ein gutes Gefühl, einen sicheren Ort im Rücken zu haben, wo man auf Gleichgesinnte treffen, sich austauschen, zum Beispiel vergleichen, was man für bestimmte Aufträge verlangen kann.« Als das »atelier automatique« gegründet wurde, geschah das erstmal aus dem Impuls heraus, einen Raum für die eigene Arbeit zu schaffen. Das genaue Profil war unklar – und auch, was man nach außen darstellen möchte.
Das ist bis heute so. Es wird zum Beispiel oft als ein Ort für (queer-)feministische Kunst, Forschung oder Diskussion wahrgenommen, ist aber nicht nur das. »Ich hatte den Impuls, queere Themen hier rein zu bringen«, sagt Eva Busch, die in ihrer Rolle als Kuratorin zum Beispiel die Arbeit »Emanzenexpress« als Teil des Ruhr Ding von Urbane Künste Ruhr geschaffen hat. Dafür suchte sie mit »atelier«-Mitglied Julia Nitschke nach feministischen Orten in der Bochumer Stadtgeschichte, erstellte eine Karte und organisierte Stadtrundgänge mit diesem Fokus.
»Es gibt mir ein stärkendes Gefühl, dass es in unserem Verein diesen weiblichen Überschuss gibt«, sagt Eva Busch. »Wir haben ja alle unsere Erfahrungen damit gemacht, was es bedeutet, in der Kulturarbeit weiblich und jung zu sein.« Trotzdem besteht niemand auf einen geschlossenen, »geschützten« Raum. Auch Männer sind willkommen – und andere Geschlechter sowieso. »Die freie Szene ist oft geprägt von prekären Arbeitsbedingungen und Missgunst. Mit dem ‚atelier automatique‘ haben wir uns eine Pufferzone geschaffen und eine Form von Konstanz in eher unsteten Lebensläufen.«
Dass das »atelier automatique« mit anderen relativ neuen Orten den Charakter der Rottstraße verändert, ist den Vereinsmitgliedern bewusst. »Sind wir Gentrifizierer?«, fragen sie sich. Immerhin befinden sie sich an der Straße, die früher vor allem von grauen Wohnblocks geprägt war, jetzt noch weitere Ateliers, der Kunstverein Wostspitze, der auch das Kneipen-Restaurant Neuland betreibt, Theater und Kunsthalle unter der Bahnlinie an der Rottstraße 5 und die Föderation Demokratischer Arbeitervereine, wo sich auch der WorldBeatClub trifft, der interkulturelle Begegnungen, Tanz- und Musikveranstaltungen ermöglicht.
Gut vernetzt
»Das wichtigste ist, miteinander in Kontakt zu bleiben, die Entwicklung der Straße bewusst zu gestalten«, sagt Eva Busch. Deshalb sind die Aktiven gut vernetzt. Vor Corona hat man Einladungen zu Austausch-Treffen in alle Briefkästen geworfen, große Straßenfeste veranstaltet. Die Hoffnung ist groß, dass diese Öffentlichkeit bald wieder hergestellt werden kann. Im Moment gibt es vor allem Schaufenster-Ausstellungen, die erste unter dem Motto »Beziehungsweise, wir sind hier nicht im Internet«.
Die Möglichkeit des öffentliche Raums, des Austauschs live und in Farbe, das Ausstrecken der Fühler fehlt den »atelier«-Mitgliedern vielleicht noch mehr als anderen Akteuren der freien Kultur. Denn es wird erst richtig lebendig als ein Netzwerk. Dann sitzen morgens die mit wichtigen Preisen ausgezeichneten Autorinnen Enis Maci oder Esra Canpalat am Schreibtisch, nachmittags proben die Progranauten oder »Meine Wunschdomain«, die Bühnenbildnerin Kathlina Reinhardt bastelt an Bühnen- oder Kostümbildern, abends wird vielleicht ein Film der Rosa Strippe gezeigt oder es gibt ein Jazzkonzert oder eine Physical-Theatre-Performance von Pia Wagner und zwischendurch schaut mal die Migrantifa vorbei. Bald muss er wieder einziehen, dieser wahlverwandtschaftliche Alltag.