TEXT: ULRICH DEUTER
27. September, 13:30 Uhr, Raum E1A16, der Landtagsausschuss »Kultur und Medien« tritt zu seiner zweiten Sitzung zusammen. In dem holzgetäfelten kreisrunden Saal mit Blick auf den Rhein stellen die SPD-Ministerinnen Ute Schäfer (Kultur) und Angelica Schwall-Düren (Medien) die Schwerpunkte ihrer Politik für die Legislaturperiode vor. Zwar ist für die Aussprache ein späterer Termin vorgesehen, doch bieten die beiden Regierungserklärungen Gelegenheit zu Nachfragen und Kritik, was sich die Oppositions-Abgeordneten von CDU und FDP nicht entgehen lassen. Auch die Piratenpartei, mit 7,8 Prozent und 20 Abgeordneten in den 16. Landtag Nordrhein-Westfalens eingezogen, hat zwei Vertreter in den Ausschuss entsandt, der erstmals die Bereiche Kultur und Medien vereint: Daniel Schwerd und Lukas Lamla, wobei Schwerd sogar Stellvertreter des Vorsitzenden Karl Schultheis (SPD) geworden ist.
Schwerd, geboren 1966, ist ein Diplom-Informatiker aus Köln; Lamla, Jahrgang 1983, ein Dormagener Feuerwehrmann. Zwar fehlt beiden das Piraten-Klischee-Attribut Pferdeschwanz und schwarze Kluft, doch streicheln und befingern sie während der Sitzung ganz milieukonform unentwegt ihre mobilen Eingabegeräte – Schwerd tituliert sich auf seiner Website als »zerstreuten & niemals erwachsenen Geek«, also Computerfreak.
Beim Tagesordnungspunkt »Pflichtexemplargesetz« obliegt es dem bestens vorbereiteten Thomas Sternberg von der CDU, den Entwurf der Landesregierung zu zerpflücken, auch und gerade in Hinsicht seiner Behandlung digitaler Veröffentlichungsformen. Eher reflexhaft-matt bemängelt der »Geek« Schwerd einen fehlenden Passus über die Ablieferung von Websites und Newslettern an die Landesbibliotheken, was ihm von den Grünen die höhnische Frage einträgt, ob er das Internet ausdrucken wolle. Auch als Ministerin Schwall-Düren ihren für November im Landtag geplanten »Tag der Medienkompetenz« vorstellt, fällt nicht den selbsternannten Digital Natives, sondern einem FDP-Abgeordneten der Vorschlag ein, die Veranstaltungen als Live Stream ins Internet zu stellen.
Eine Stunde zuvor allerdings hatte Daniel Schwerd nach Ute Schäfers Vortrag der kulturpolitischen Kapitel des Haushaltsplans 2012 die Ministerin gebeten zu erläutern, wie der Schwerpunkt staatlicher Kulturförderung von den klassischen Kulturformen weg zu verlagern sei.
GEGEN DIE HOCHKULTUR
So still und freundlich dieser Wunsch vorgetragen wurde, so sehr hat er es in sich. Was die Piratenpartei mit Schwerpunktverlagerung meinen kann, wird ein paar Tage später deutlich: Da initiieren die Bonner Piraten ein Bürgerbegehren zur Abschaffung der dortigen Oper (oder ihrer Fusion mit Köln) per 1. August 2013. Anlas für den spektakulären Schritt ist die prekäre Bonner Finanzlage, Grundlage aber ein Passus aus dem Wahlprogramm der Partei zur Landtagswahl, das bis auf weiteres die gültige Leitlinie der Piratenpolitik bildet. Darin heißt es unter »1.14 Kultur«: »Die Hochkultur, die hoch subventioniert wird, muss sich nicht nur an ihrer künstlerischen Qualität messen lassen, sondern auch an ihren Bemühungen um (…) Publikum aus allen sozialen Schichten und Altersstufen. Kultur, die den Kontakt zu einem breiten Publikum nicht hat, verliert die Legitimation ihrer Subventionen.« Und weil in Bonn jede Eintrittskarte mit 300 Euro bezuschusst werde, sei die Oper reif.
Tatsächlich hat die einstige Einthemenpartei längst begonnen, sich auf allen Feldern der Politik zu profilieren, auch auf dem der Kultur. Ihre programmatischen Vorstellungen hier sind dezidiert und offenbaren ein Weltbild, das unter dem ehrenwerten Anliegen der Vergrößerung demokratischer Teilhabe eine ausgeprägte Kunstfeindlichkeit zum Vorschein bringt. Da wird eine »selbst ernannte Hochkultur« kritisiert, die das ganze Geld an sich ziehe, um auf »ausgetretenen Pfaden« zu wandeln und den »Mainstream« zu bedienen; da wird suggeriert, Kunst werde einer »Deutungshoheit« – durch wen auch immer – unterworfen, die es zu sprengen gelte: »Die PIRATEN NRW fordern eine neue Wahrnehmung der Klassifizierung von Kultur und der damit einhergehenden Bewertungen von Niveau oder Geschmack.« Ein in Jahrhunderten gewachsenes ästhetisches System, ein historischer Kunstbegriff, der per definitionem dem stets Neuen verpflichtet ist: click and delete?
Daniel Schwerd ist zum Gespräch mit K.WEST über die irritierenden Sätze gern bereit. Zur Unterstützung hat er sich eine Woche nach der Ausschusssitzung und einen Tag vor Bekanntwerden des Bonner Vorstoßes Elle Nerdinger mitgebracht, Sprecherin des Arbeitskreises Kultur und Medien der NRW-Piraten – eine quirlige, wie Schwerd sehr freundliche junge Frau, die allerdings die kantigeren Positionen vertritt. Schnell stellt sich heraus: Wo die Kulturpolitik der Bundesrepublik grosso modo stets fest davon ausging, dass die Künste und das Kulturleben unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft sind, weswegen sie auf vielfältige Weise gefördert sein müssen – da stellen für die Piraten die Ressourcen der Kultur (Institutionen und Gelder) eine wert- und inhaltsfreie »Plattform« dar, zu der jeder gleichberechtigt Zutritt erhalten müsse, nicht nur als Konsument.
Eine »Plattform« sind für die Piraten etwa auch die öffentlichen Verkehrssysteme, ja ist alles Gesellschaftliche. Und weil jedem dasselbe Zugangsrecht zu diesen Plattformen gebühre, müsse eben der ÖPNV kostenlos sein, müsse es ein Grundeinkommen für jeden geben und dito den Gratis-Access zu den Produktionsmitteln der Theater und Museen. Die Ideologie der »Plattformneutralität« ist eine Ableitung aus der geforderten »Netzneutralität« der Internets, das für die Piraten bekanntlich eine Art Idealwelt darstellt. Nur, in der politischen Praxis würde Plattformneutralität zum Prokrustesbett: Einer hälftigen Aufteilung der Fördergelder auf Laien und Profis, wie Schwerd sich dies vorstellen könnte, würde sämtlichen Theatern, Orchestern, Museen sofort den Garaus machen.
PLATTFORMEN SIND NICHT EINFACH DA
Überdies ist, den ÖPNV oder die Theater als etwas schlichtweg Vorhandenes anzusehen, zumindest eines: unpolitisch; in Wahrheit geht der Existenz all dieser »Plattformen« eine politische Willensbildung voraus. Da für die Piraten diese Dinge einfach da sind, wollen sie Subventionen für Kultur auch nicht streichen – nur umverteilen. Jede Laiengruppe, die den »Hamlet« einstudieren will, gibt Elle Nerdinger ein Beispiel, müsse dazu dasselbe Recht und entsprechende Ressourcen bekommen wie die Profis. – Das heißt, für die Piraten ist der Liebhaber-Shakespeare genauso viel wert wie der von professionellen Schauspielern? – Nein, wehrt Daniel Schwerd ab, aber um die Qualitätsfrage gehe es nicht: »Es soll keine Bevorzugung einzelner Formen geben, das ist unsere Idealvorstellung.« Neutralität sei die Formel, alles habe seine prinzipiell gleich starke Berechtigung. Die gegenwärtige Realität aber bevorzuge einseitig die »Elitenorte« und den »Mainstream«.
Und diese Eliten, kritisieren die beiden Piraten, schotten sich ab, ziehen gläserne Wände hoch, so dass immer dieselben »Cliquen« immer dieselben hochkulturellen Sachen produzieren resp. konsumieren. Leute aus einem anderen sozialen Umfeld bekämen keinen Zugang dazu. – Aber die Projekte mit Jugendlichen etwa, die mittlerweile jedes Theater auf dem Programm hat, die Werbeaktionen um Besucher vom Plakat bis zur Website und der Facebook-Präsenz, die Programme mit ganz junger Musik in den Konzerthäusern, wenn etwa Mouse on Mars in der Kölner Philharmonie auftritt? – Alles kein Argument für Nerdinger und Schwerd, jedem Beispiel für das mittlerweile fast panische Bemühen der Kulturinstitutionen um Junge und/oder weniger Bildungsbeflissene wird von den beiden Piraten ein Aber entgegengehalten (»Mouse on Mars ist auch schon Elite«). Was das Landtags-Wahlprogramm nur andeutet, wird im Gespräch klar: Die Piraten machen das ranzige Ressentiment von der Elitenhaftigkeit der Hochkultur zum politischen, besser gesagt populistischen Programm.
Wir wollen doch gar nichts gegeneinander ausspielen, beschwichtigt der Landtagsabgeordnete Schwerd. Die Idealvorstellung »piratiger« Kulturpolitik, erläutert Nerdinger, sei im »Unperfekthaus« verwirklicht, einem inhaltlich völlig barrierefreien Veranstaltungs- und Atelierhaus in Essen, in dem jeder, der will, »Kunst« machen kann. Um Einrichtungen dieser Art zu stützen oder zu gründen würde Schwerd auch der Essener Theater und Philharmonie eine Sparte wegnehmen wollen – es gebe ja das nächste Theater in der Nachbarstadt. Immerhin besitzt Schwerd die Größe zuzugeben, bislang nicht darüber informiert zu sein, dass Theaterfusionen finanziell nichts und Theaterschließungen erst nach vielen Jahren Einsparungen bringen; er sei bereit, dazuzulernen: »Wir sind ja noch eine junge Partei«. Als wenn sechs Jahre nicht reichten, Kompetenz in diesen Fragen zu erlangen.
NERD-INTERESSEN
Vor dem Hintergrund dieser Aversion gegen die Kunst zugunsten aller möglichen Bindestrichkulturen wirkt die Piraten-Forderung nach staatlicher Förderung der »Kulturgüter« »Rollenspiele oder (…) Geocaching und (…) Paintball« erheiternd. Obwohl auch dies keine Politik, sondern Klientelismus ist, was Schwerd fröhlich bestätigt: »Naja, wir sind Nerds und wir vertreten natürlich auch in unserer Kultur Nerd-Interessen.«
Die Piraten sind da; mindestens die nächsten fünf Jahre stellen sie eine Fraktion im Landtag. Für diese Zeit hat sich Daniel Schwerd vorgenommen, den Haushalt der Kultur- wie der Medienministerin für die Öffentlichkeit transparent zu machen bis in die das Geld empfangenden Institute hinein – was ihm gelingen möge. Zum geplanten Kulturfördergesetz (s. K.WEST 10.2012) sagen die Piraten prinzipiell ja. Und darüber hinaus wollen sie sich auf Landesebene für die Koordination von Synergien einsetzen. Sprich: für eventuelle Theater- oder Museumsfusionen.
Die Kollegen in Bonn haben damit schon mal angefangen. Zwar rudern sie derzeit, vom Medienecho auf ihre Versenkt-die-Oper-Attacke erschreckt, mit faulen Ausreden herum und zurück (»Es gibt noch kein Bürgerbegehren«). Von der Landesebene aber war bis Redaktionsschluss nur ein gemurmeltes »War nicht abgesprochen!« zu bekommen. Eine Distanzierung sieht anders aus.