TEXT ANDREAS WILINK
Das Nachtstück beginnt mit dem von Blitzen umzuckten Wüten eines Sturms vor Zyperns Küste, als würde das Dies irae im Requiem ertönen. So hat es Verdi komponiert, so verstärkt es an der Düsseldorfer Rheinoper Michael Thalheimer noch einmal wirkungsvoll und setzt Shakespeares Tragödie zur Gänze in eine schwarz gepanzerte Dunkelkammer (Bühne: Henrik Ahr). Da ist nichts Helles, bis auf den Staub, den Jago in seiner negativen Theologie und nihilistischen Philosophie einmal in die Luft hinein pustet: Asche zu Asche. Und bis auf das weiße Brautkleid und Totengewand der Desdemona, nach deren Ermordung die Ränder des leeren Raum-Kastens aufbrechen und weiße Kante zeigen. Zu Anfang scheinen alle Beteiligten von den Protagonisten bis zum Chor die zeitweise die Theater heimsuchende Black-Facing-Debatte zu kommentieren, indem sie sich schwarze Schminke ins Gesicht reiben. Es gibt im ersten Akt kein »rassereines« Weiß in dem venezianischen Männerbund und der von Intrigen, Neid, Hass und der »schwarzen Hydra« Eifersucht vergifteten (dezent faschistisch eingekleideten) Umgebung Otellos. Der verachtete Mohr sieht noch aus wie ein jeder. Die Differenz liegt woanders.
Während Axel Kober mit den Düsseldorfer Symphonikern exzellent die Partitur zum Glühen und Grollen bringt, konzentriert sich Thalheimer – ganz wie es seine Art auch beim Schauspiel-Theater ist, aber hier ohne Verlust für ein Drama in seinen Nuancen und mit Gewinn für spannungsintensive Verdichtung – auf den wilden Konflikt, den Jago und Otello auf Leben und Tod austragen. Die Gegner kommen sich dabei so nahe wie Brüder in ihrer Rachsucht: besonders in der Szene, wenn beide die Uniformjacken ablegen und im Muscle-Shirt einander gleich werden. Jago erhebt sich bei dem auch stimmlich hervorragenden Boris Statsenko in seiner treibenden Kraft und abgründigen Dämonie zur Hauptfigur. Wenn er in einem furiosen Moment sein Anti-Glaubensbekenntnis ablegt (»Ich glaube an einen grausamen Gott«) und wie der Prophet des Anti-Christ auftritt, projiziert sich ein lichtes Kreuzeszeichen hinter ihm wie bei einem malerischen Malewitsch.
Verdis / Shakespeares Passionsgeschichte mit dem sich in sein Schicksal duckenden, vom hirnrasenden Wahn in den körperlichen Krampf geführten Otello (Zoran Todorovich) auf dem Weg zu seinem Kalvarienberg und in seine Hölle verläuft als unaufhaltsamer Sog. Für sein Entree in den Tod durch eigene Hand wird ihm bei Thalheimer der Teufel Jago noch den Dolch reichen. Im Kontrast dazu steht die Himmelskönigin der Desdemona (Jacquelyn Wagner), die in der Inszenierung überhöht zum Altarbild und als sanfte Heilige und unbefleckte Jungfrau in Positur gebracht wird – tatsächlich wie auf einem Zurbarán-Gemälde. Aber Erlösung ist in dieser heillos schwarzen Messe nicht vorgesehen.