Aus dem Dunkel leuchtet es. Körperflächen – Fuß, Arm, Schulter, Hals, Gesicht – wie marmorne Relikte antiker Statuen. Frau und Mann tragen schwarze Trikotoberteile und Kleider wie Priesterröcke, bewegen sich nervös wie Welpe und Fohlen, wippen, tänzeln: der zart besaitete Mann, der die Arme hoch über den Kopf hebt in einer graziös weichen Geste und matt vom „Triumpf“ kündet, die elastisch gespannte Frau – zwei Spielkinder im erwachsenen Spiel auf Leben und Tod: Penthesilea und Achilles.
Sandra Hüller und Jens Harzer nehmen’s leicht, flöten und kosen Kleists Sprache. „Hass“ klingt wie ein Tändeln. Johan Simons zaubert das Blutstück aus dem Kampf um Troja in die Lüfte hinein. Nun schwebt es wie ein Mobile, frei, bereinigt vom „Schreckenspomp“. An den Bühnenrand setzt Johannes Schütz als Grenze ein Lichtband, das sich verbreitert zum Leuchtboden, auf dem die beiden gehen wie auf Eis. Ansonsten regiert die Nacht. Die übrigen Figuren des Dramas sind entfernt. Alles ist konzentriert auf die Amazone und den Held: Täter und Opfer in einem, zugleich Pfeil und Bogen, spannende Hand und gespannte Sehne.
Harzer wühlt in Hüllers Blondschopf, umfasst sie zärtlich, berauscht sich am Duft des eigenen Schweißes, winkt ab, wenn Gefahr zu drohen scheint. Ach, was, die Götter werden schon aufpassen. Er kostet, die Vokale dehnend, das Leibliche aus, bis er nur noch in Unterhose und Stiefeln dasteht und auch diese ablegt. Nun trägt er bloß ein Medaillon – seine ganze Rüstung. Im Begehren liegt unter der Oberfläche auch dessen Komik und Aberwitz. Hüller stolziert, stakst, singsangt im Mädchenton, spreizt
die Beine im Spagat, pustet Harzer eine Haarsträhne fort, pfeift ihm wie Frauchen einem Schoßtier, krabbelt mit den Fingern auf ihm, um ihm die gelernte Lektion vom Gesetz der Amazonen vorzutragen, unfroh über den Ritus des mörderischen Rosenfestes. Sie repetiert einen Satz, um sich in Rage zu bringen, ist in einem Moment die neunmalkluge Griechisch-Lehrerin, dann wütende Windsbraut, dann höhnend überlegen. Zerrt an sich, als sei ihr der Körpermantel aus Haut zu eng. Sie knabbern und schmecken einander, noch in Lust oder schon im Jagdfieber und Irrsinn? Noch das Liebes-ABC oder bereits der Kannibalismus? Nichts in den packenden, betörenden zwei Stunden ist sich naiv gebende oder effektvoll schäumende Emotion. Jede Wendung, Empfindung, Stimmung, Körperhaltung, Begegnung ist einmal um die Welt gegangen und beglaubigt im Innersten. Hüller und Harzer sind stets reflektiert und liefern sich gleichzeitig mit jeder Faser aus. Ihre Disziplin ist mehr als der olympische Zehnkampf: größer, erschöpfender, furchtbarer.
Dann schlägt Sandra Hüller mit ihrer Stimme Alarm, wird ganz Schrei und kleidet sich in die Schlachtmontur des Kampfgirls. Ihr Psycho-Drama aber bleibt hell. Der Krieg ihrer Körper wird von Johan Simons wiederholt – mit umgekehrten Rollen. Sie wird er. Er wird sie. Mit einem Verbeugen bittet Penthesilea ihn um Verzeihung und Achilles sie. Sie umfängt ihn. Er umfängt sie. Ein Paar wie Tristan und Isolde: Identitäts-Tausch und -Aufhebung. Da wird nichts aufgelöst. Aber erlöst – im Spiel, wenn Hüller/Harzer ins Dunkel abgehen. Nun kann sie neuerlich beginnen, die Menschendämmerung auf lichtem Grund.
Premiere: 10. November, 2018, wieder am 11. und 18. November 2018, www.schauspielhausbochum.de