Text Andreas Wilink
Am Anfang ist das Tohuwabohu – Chaos, Getöse, Aufruhr, unterlegt mit Bildern von der Kölner Domplatte, die seit Silvester 2015 neu konnotiert sind. Dem Lärm aber widersetzt sich die Stille. Die Personen auf der Bühne des Kölner Schauspiel-Depots schweigen zunächst, in sich hinein lauschend. Ratlos, vielleicht meditativ. Außenwelt und Innenwelt. Das ist eine der gezogenen Grenzen und Konfliktlinien in Nuran David Calis’ Rechercheprojekt »Glaubenskämpfer«. Es versammelt auf einer weißen kreisförmigen Agora mit einer sich wie ein Buch aufklappenden Videowand, während der Himmel darüber voller bunter Glühbirnen hängt, Vertreter der drei Religionen des Buches: von Altem Testament, Neuem Evangelium und Koran. Und konfrontiert sie Auge in Auge miteinander sowie mit einigen säkularen Stimmen aus dem Ensemble, wobei der Schauspieler Martin Reinke im Grunde der anderen Seite angehört mit seiner an Pascal geschulten Theologie. Experten des Glaubens treten in Dialog mit Skeptikern und Existentialisten, die sich allerdings beflissen arg naiv anstellen, auf dem Allgemeinplatz verharren und dort ihre ideologische Obdachlosigkeit als Schwäche einschätzen.
Man hört in dem Moment zu, wo es um das persönliche Glaubensbekenntnis und Erweckungserlebnis geht: bei der Nonne Johanna, die in aller Schlichtheit und Gewissheit ihr »Erwachen« schildert; der »Kopftuchträgerin« Ayfer aus der Türkei; dem zu einiger Popularität gekommenen Ex-Salafisten Dominic Schmitz, dem nach seinem Ausstieg von seinen früheren Brüdern Schlimmes droht; dem gelehrten jüdischen Therapeuten Avraham Applestein, der auch seine vom Holocaust betroffene Familiengeschichte erzählt. Glaube gibt Sicherheit (auch im Zweifel); Glaube meint stetes Lernen, ist gelebte Toleranz aus dem Geiste Lessings, ist die Freiheit zur Entscheidung in Selbstverantwortung. Und das A und O: Glaube ist Liebe. Was sich in der politischen Prosa der Gegenwart und in einer Welt voller Teufel dann anders darstellt, etwa in der eingespielten Propaganda-Botschaft des »IS«, so grausam fürchterlich, dass es finsterer anmutet als Saurons Wille zur Macht in »Der Herr der Ringe«.
Die turbulenten, sich im Gezänk der Meinungen gegenseitig überbietenden (übergeprobt und überinszeniert wirkenden) Diskussionen lassen an einen Woody-Allen-Film denken, sind aber bei weitem nicht so komisch. Zudem zerfranst das Glaubens-Thema und kriegt seine vielen losen Fäden nur mühsam verbunden. Mal werden die drei Religionen gegeneinander »ausgespielt« (die Idee der Erbsünde oder die der natürlichen Kindes-Reinheit) oder der Eintritt in die Gemeinschaft nach dem jeweiligen Aufwand bemessen (am einfachsten scheint es, Muslim zu werden). Schließlich dominiert die brisante (muslimische) Terror-Gefahr und Flüchtlings-Krise mit ihren militanten Vorurteilen, Stigmatisierungen und realen Bedrohungen, wobei die Islam-Vertreter auf ihre »Opferrolle« und die Ungleichheit hinweisen: Sie würden sogleich auf den Extremismus festgelegt, während hier auf christlicher und jüdischer Seite die Fundamentalisten fehlten. Die Aufführung – formal dürftig und dramaturgisch wenig engmaschig – will zu viel und erreicht zu wenig, abgesehen von dem gemeinschaftsstiftenden Eindruck, dass es – wie immer – ganz auf den Einzelnen ankommt.