TEXT SASCHA WESTPHAL
Schon in der Antike war das Theater ein Ort der Wahrheitsfindung und die Bühne eine Art von Gerichtssaal, mit Anklägern und Zeugen. Allerdings mit ungewissem Ausgang: Ödipus sucht einen Mörder und findet sich selbst. Tragische Selbsterkenntnis steht mittlerweile nicht mehr so im Vordergrund. Statt mythischer Verstrickungen nehmen sich Theatermacher eher die banale Wirklichkeit vor. So werden die Abende des Kollektivs »Rimini Protokoll« von »Experten des Alltags« getragen, die den persönlichen Zugang zu verhandelten Themen und Problemen garantieren und dem Publikum auf Augenhöhe begegnen. Darin ist ihnen der namenlose Journalist, der in Anne-Kathrin Schulz’ Reportage-Stück über die illegalen Warenströme, die seit Urzeiten Teil des globalen Handels waren, nicht so unähnlich.
Auch der Rechercheur ist auf seine Weise Experte des Alltags. Seine Suche nach der Wahrheit hat – wie auch sein Verlangen, möglichst alle greifbaren Informationen aufzusaugen – etwas Obsessives. David Schraven, Gründer des Recherchekollektivs CORRECT!V, ist das reale Vorbild für den Journalisten, der mit einigen Kollegen die Wege der über das Mittelmeer fahrenden Schmuggler-Schiffe nachvollzieht. So wie ihn Kay Voges in der Dortmunder Uraufführung des knapp zweistündigen Monologs inszeniert und so wie ihn Andreas Beck spielt, ist der Reporter doch auch Nachfahre der großen theatralen Wahrheitssucher.
Das Dokumentarische nähert sich wieder dem Mythischen an. Das Arbeitszimmer des Journalisten, das mit Monitoren und Schiefertafeln, Büchern und Globen, Leinwänden und Demonstrationsobjekten die gesamte Bühnenbreite einnimmt, lässt an Fausts Studierstube denken. Hier versucht jemand, die ganze Welt zu erfassen. Nur muss der Mann, dem auch nicht das »Verweile doch!« über die Lippen käme, keinen Teufelspakt eingehen. Ihm genügen das Internet und die Satelliten, die ihre Bahnen über der Erde ziehen.